London (Großbritannien) – Eine aktuelle archäologische Studie sorgt für erhebliches Aufsehen in der Forschung zur Menschheitsgeschichte: Frühmenschen, in diesem Fall Neandertaler, haben offenbar bereits vor über 400.000 Jahren selbst Feuer gemacht und kontrolliert. Das sind rund 350.000 Jahre früher, als bislang dies als gesichert galt.

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Wie das Team um Nick Ashton und Rob Davis vom British Museum und die Geowissenschaftlerin Dr. Sally Hoare von der University of Liverpool aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-025-09855-6) berichten, stammt die Entdeckung aus dem paläolithischen Fundplatz Barnham in der englischen Grafschaft Suffolk und wird von Fachleuten als möglicher Wendepunkt im Verständnis der frühen menschlichen Entwicklung gewertet.
Bislang gingen viele Forscher davon aus, dass die kontrollierte Herstellung von Feuer erst vor etwa 50.000 Jahren nachweisbar sei. Zwar gibt es aus Afrika Hinweise darauf, dass frühe Menschen bereits vor mehr als einer Million Jahren natürlich entstandenes Feuer – etwa durch Blitzeinschläge – nutzten, doch der aktive, gezielte Einsatz von Feuer galt lange als wesentlich jüngere kulturelle Errungenschaft. Die neuen Funde aus Großbritannien stellen dieses Bild nun grundlegend infrage.
Im Zentrum der Entdeckung stehen mehrere Indizien, die gemeinsam ein überzeugendes Gesamtbild ergeben: ein klar abgegrenzter Bereich stark erhitzten Tons, zahlreiche durch Hitze gesprungene Feuerstein-Handäxte sowie zwei kleine Fragmente von Eisenpyrit. Letzteres ist ein Mineral, das beim Anschlagen mit Feuerstein Funken erzeugt und sich zur Entfachung von Feuer eignet. Besonders bemerkenswert ist, dass Pyrit in der Umgebung von Barnham selten vorkommt, was darauf hindeutet, dass er gezielt beschafft und bewusst eingesetzt wurde.
Feuerstelle von Neandertalern
Vier Jahre lang arbeiteten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen daran, auszuschließen, dass es sich bei den Spuren lediglich um Überreste eines natürlichen Waldbrandes handelt. Geochemische Analysen ergaben, dass die betroffenen Sedimente Temperaturen von über 700 Grad Celsius ausgesetzt waren, und zwar wiederholt am selben Ort. Dies spricht klar für die Nutzung einer Feuerstelle oder eines Lagerfeuers, das von Menschen mehrfach entfacht wurde.
Die Funde werden frühen Neandertaler-Gruppen zugeschrieben, deren Gehirngröße zu dieser Zeit bereits annähernd moderne Werte erreicht hatte. Damit fügen sich die Feuerreste in ein größeres Bild zunehmender kognitiver und technologischer Fähigkeiten früher Menschen ein.
Die Bedeutung des kontrollierten Feuermachens kann kaum überschätzt werden: Feuer ermöglichte es frühen Menschen, unabhängiger von natürlichen Feuerquellen zu werden und ihre Lagerplätze freier zu wählen. Es bot Wärme, Schutz vor Raubtieren und eröffnete neue ökologische Räume – insbesondere kühlere und unwirtlichere Regionen. Vor allem aber veränderte Feuer die menschliche Ernährung grundlegend: Durch das Kochen konnten giftige Pflanzenstoffe neutralisiert und Krankheitserreger im Fleisch abgetötet werden. Gegarte Nahrung ließ sich leichter verdauen, wodurch mehr Energie für das Gehirn zur Verfügung stand – ein möglicher Motor für die weitere geistige Entwicklung.
Dass solche frühen Feuerstellen archäologisch nachweisbar sind, gilt als seltene Ausnahme. Asche und Holzkohle werden über Jahrtausende leicht verweht oder ausgewaschen, erhitzte Sedimente können erodieren. Umso außergewöhnlicher ist der Erhaltungszustand von Barnham. Vergleichbare Fundplätze in Großbritannien, Frankreich und Portugal deuten zwar auf eine zunehmende Bedeutung des Feuers zwischen 500.000 und 400.000 Jahren hin – doch Barnham liefert nun eine plausible Erklärung: die Einführung der gezielten Feuererzeugung.
Die beteiligten Forscher sprechen von einer der bedeutendsten Entdeckungen ihrer Laufbahn. Die Fähigkeit, Feuer selbst zu entfachen und zu kontrollieren, gilt als einer der entscheidenden Meilensteine der Menschheitsgeschichte – und dieser Meilenstein liegt nun offenbar weit tiefer in der Vergangenheit, als bislang angenommen. Barnham könnte sich damit als globaler Referenzpunkt für die früheste bekannte Feuertechnologie des Menschen etablieren.
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Quellen: Nature, University of Liverpool
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