Menschliches Gehirn reagiert auf Laute von Primatenverwandten wie auf Sprache

Geschrieben am 15.12.2025
von Andreas Müller

Genf (Schweiz) – Das menschliche Gehirn erkennt nicht nur menschliche Sprache. Eine neue Studie zeigt, dass bestimmte Bereiche des auditorischen Kortex gezielt auch auf die Lautäußerungen von Schimpansen reagieren – unseren nächsten Verwandten sowohl aus evolutionärer als auch aus akustischer Sicht.

Symbolbild: Schimpansenmutter mit Kind.Copyright: H. Zell (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0
Symbolbild: Schimpansenmutter mit Kind.
Copyright: H. Zell (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0

Wie Leonardo Cervolo, Coralie Debraque, Thibaud Gruber und Didier Grandjean von vom Swiss Center For Affective Science an der Université de Genève (UNIGE) aktuell im Fachjournal „eLife“ (DOI: 10.7554/eLife.108795.1) berichten, zeigen ihre Untersuchungen, dass bestimmte Fähigkeiten zur Verarbeitung von Lautäußerungen zwischen Menschen und Menschenaffen geteilt werden. Wenn Versuchspersonen die Rufe von Schimpansen hörten, unterschied sich die neuronale Reaktion deutlich von jener auf Lautäußerungen von Bonobos oder Makaken.

Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es im menschlichen Gehirn Unterregionen gibt, die besonders empfindlich auf die Stimmen bestimmter Primatenarten reagieren. Das wiederum eröffnet neue Perspektiven auf den Ursprung der Stimmerkennung und könnte wichtige Hinweise zur Entwicklung der Sprache liefern.

Die menschliche Stimme ist ein zentrales Signal sozialer Kommunikation. Entsprechend nimmt ihre Verarbeitung einen großen Teil des auditorischen Kortex ein. Unklar war bislang, ob diese Fähigkeiten ausschließlich menschlich sind oder auf älteren evolutionären Grundlagen beruhen. Um dieser Frage nachzugehen, wählten die Forschenden einen evolutionsbiologischen Ansatz. Sie verglichen die neuronale Verarbeitung von Lautäußerungen verschiedener Primatenarten, die dem Menschen unterschiedlich nahestehen, darunter Schimpansen, Bonobos und Makaken. Auf diese Weise lässt sich untersuchen, welche neuronalen Mechanismen der Mensch mit anderen Primaten teilt – und welche nicht – und wie sich die Grundlagen vokaler Kommunikation lange vor dem Auftreten der Sprache entwickelt haben könnten.

Im Rahmen der Studie hörten 23 erwachsene Probandinnen und Probanden Lautäußerungen von vier Arten: menschliche Stimmen als Referenz, Schimpansenrufe als genetisch und akustisch besonders nahe Verwandte, Bonobo-Laute, die zwar genetisch ähnlich, klanglich jedoch eher vogelähnlich sind, sowie Rufe von Makaken, die sowohl genetisch als auch akustisch weiter entfernt sind. Mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) analysierten die Forschenden die Aktivität im auditorischen Kortex. Ziel war es zu überprüfen, ob es dort eine Unterregion gibt, die speziell auf Primatenstimmen reagiert.

Gehirn reagiert auf Schimpansenlaute

Genau eine solche Spezialisierung konnte das Team nachweisen: Ein Bereich des auditorischen Kortex, der sogenannte superiore Temporalgyrus, der an der Verarbeitung von Geräuschen, Sprache, Musik und Emotionen beteiligt ist, zeigte eine spezifische Aktivierung bei den Lautäußerungen bestimmter Primaten. Besonders auffällig war die Reaktion auf Schimpansenstimmen: Diese unterschied sich klar von der neuronalen Aktivität, die durch Bonobo- oder Makakenlaute ausgelöst wurde.

Diese Spezifität ist bemerkenswert, da Bonobos dem Menschen genetisch ebenso nahestehen wie Schimpansen, ihre Lautäußerungen jedoch akustisch deutlich anders aufgebaut sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass nicht allein die genetische Nähe, sondern die Kombination aus evolutionärer Verwandtschaft und akustischer Ähnlichkeit entscheidend dafür ist, wie das menschliche Gehirn auf Primatenstimmen reagiert.

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Die Entdeckung eröffne neue Ansatzpunkte für das Verständnis der Evolution der neuronalen Grundlagen von Kommunikation, so die Forschenden. „Sie legt nahe, dass bestimmte Hirnregionen beim Menschen im Laufe der Evolution eine Sensibilität für die Lautäußerungen naher Verwandter bewahrt haben. Während bereits bekannt war, dass im Tierreich spezialisierte Gehirnareale auf die Stimmen von Artgenossen reagieren, zeigt diese Studie, dass auch beim erwachsenen Menschen ein Bereich – der anteriore superiore Temporalgyrus – auf nicht-menschliche Lautäußerungen anspricht.“

Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass bestimmte Fähigkeiten zur Verarbeitung von Stimmen zwischen Menschen und Menschenaffen geteilt werden und somit älter sind als die artikulierte Sprache. Darüber hinaus könnten sie helfen, die Entwicklung der Stimmerkennung und möglicherweise auch der Sprache beim Menschen besser zu verstehen – etwa indem sie erklären, wie Säuglinge schon sehr früh, möglicherweise sogar vor der Geburt, die Stimmen vertrauter Personen erkennen können.

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Recherchequelle: Université de Genève

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