Studie: Frühe Erdatmosphäre könnte lebenswichtige Moleküle selbst erzeugt haben

Geschrieben am 02.12.2025
von Andreas Müller

Boulder (USA) – Schon lange ist die Herkunft der Bausteine des Lebens auf der jungen Erde eine der großen wissenschaftlichen Fragen. Eine aktuelle Studie sieht nun Belege dafür, dass, dass die junge Erdatmosphäre selbst deutlich aktiver an der Entstehung erster Biomoleküle beteiligt gewesen sein könnte als bisher angenommen.

Symbolbild: Atmosphäre.Copyright: grewi.de
Symbolbild: Atmosphäre.
Copyright: grewi.de

Wie das Team um Nathan Reed (heute NASA) und Eleanor Browne aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS, DOI: 10.1073/pnas.2516779122) erläutert, könnten vor Milliarden Jahren schwefelhaltige organische Moleküle, darunter sogar frühe Aminosäuren, direkt in der Atmosphäre entstanden und anschließend mit Regen auf die Oberfläche gelangt sein. Damit stellt das Studienergebnis gängige Annahmen zur Frühgeschichte des Lebens infrage.

Schwefel gehört wie Kohlenstoff zu den Grundbausteinen allen Lebens. Er steckt u.a. in Aminosäuren, die wiederum Ausgangsmaterial für Proteine sind. Dennoch nahm die Forschung bislang an, dass organische Schwefelverbindungen erst entstanden, nachdem bereits primitive Organismen existierten. Frühere Laborsimulationen konnten kaum nennenswerte Mengen solcher Biomoleküle nachbilden, oder nur unter stark spezialisierten Bedingungen, die wenig mit der globalen Atmosphäre der frühen Erde zu tun hatten.

Ein neues Bild der frühen Erdatmosphäre

Die neue Studie zeichnet jedoch ein anderes Bild. Bereits zuvor hatte das Team im Labor nachgewiesen, dass Dimethylsulfid – ein Schwefelmolekül, das auf der heutigen Erde vor allem von marinen Mikroalgen erzeugt wird – allein durch UV-Licht und einfache Atmosphärengase entstehen kann.

Im aktuellen Experiment simulierten die Forschenden die Atmosphäre der Erde lange vor dem Auftreten erster Zellen. Dazu setzten sie eine Gas­mischung aus Methan, Kohlendioxid, Stickstoff und Schwefelwasserstoff gezielt energiereichem Licht aus, also Bedingungen, wie sie vor mehr als drei Milliarden Jahren geherrscht haben könnten. Schwefel ist experimentell schwierig zu handhaben, da er sich leicht an Oberflächen absetzt und in extrem niedrigen Konzentrationen auftritt. Nur mit hochsensitiver Massenspektrometrie ließ sich überhaupt nachweisen, welche Moleküle entstanden.

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Das Resultat war überraschend: In der simulierten Atmosphäre bildete sich ein ganzes Spektrum komplexer schwefelhaltiger Biomoleküle. Darunter befanden sich die Aminosäuren Cystein und Taurin sowie Coenzym Mein Stoff, der für zentrale Stoffwechselprozesse unabdingbar ist. Die atmosphärischen Reaktionswege liefern damit eine plausible Alternative zur rein geochemischen Synthese, wie sie häufig in der Nähe vulkanischer Hydrothermalquellen angenommen werden.

Anhand der experimentellen Produktionsrate berechnete das Team zudem, wie viel Cystein eine echte urzeitliche Atmosphäre potenziell hätte erzeugen können. Demnach hätte der junge Planet genug dieser Aminosäure produziert, um den Bedarf von rund einer Oktillion (also 10^27) Zellen zu decken. Im Vergleich zur heutigen Biomasse (etwa 10^30 Zellen) ist das wenig, aber für eine frühe Biosphäre durchaus relevant. In einer Welt ohne Leben könnten solche Moleküle in Seen, Ozeanen oder an Land über Regen in ausreichenden Mengen angereichert worden sein, um chemische Evolution überhaupt erst in Gang zu setzen.

Konsequenzen auch für die Suche nach außerirdischem Leben

Ellie Browne betont, dass dies die klassischen Szenarien zur Entstehung des Lebens nicht ersetzt, sondern ergänzt. Lokale Hotspots wie Vulkane oder hydrothermale Quellen hätten weiterhin eine Schlüsselrolle gespielt. Aber es sei nun plausibel, dass die junge Erde bereits ein chemisches Grundrauschen produzierte, das den Startschuss erleichterte. „Wir dachten lange, Leben müsse seine Bausteine komplett selbst herstellen. Doch unsere Ergebnisse zeigen, dass bereits eine globale, nicht-spezialisierte Atmosphäre viele dieser Moleküle geliefert haben könnte“, so Browne.

Für die Suche nach Biomolekülen auf Exoplaneten hat die Studie ebenfalls Konsequenzen: Wenn sich komplexe Schwefelverbindungen wie Dimethylsulfid auch ohne biologische Prozesse bilden können, müssen entsprechende Funde künftig differenzierter interpretiert werden (…GreWi berichtete).

Die Ergebnisse stützen die wachsende Annahme, dass das Leben nicht nur unter extrem seltenen oder außergewöhnlichen Bedingungen entstanden sein muss – sondern eher aufgrund eines Zusammenspiels mehrerer natürlicher Prozesse, die bereits früh und global wirksam waren.

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Recherchequelle: PNAS

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