Nottingham (Großbritannien) – Die Analyse eines Kuhzahns aus einem Kiefer, der einst am Steinkreis von Stonehenge im südenglischen Wiltshire vergraben wurde, erzählt erstaunlich viel über die Erbauer und Nutzung des Monuments. Er zeigt, dass Rinder aus Wales nach Stonehenge gebracht wurden – und wirft so ein neues Licht auf die Ursprünge der Anlage.

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Alter Fund – neue Analyse
Schon 1924 machten Archäologen am südlichen Eingang von Stonehenge einen besonderen Fund: den Kieferknochen einer Kuh. Damals wurde er auf die früheste Bauphase der Anlage datiert, also auf etwa 3000 v. Chr. Doch wieso war er so prominent platziert worden? Handelte es sich um eine Opfergabe? Oder spielte das Tier eine eher praktische Rolle?
Fast 100 Jahre lang blieb das Rätsel ungelöst. Nun hat ein Team von Forschern um Professorin Jane Evans vom British Geological Survey mit modernsten Methoden den Backenzahn des Tieres untersucht. Die nun im „Journal of Archaeological Science“ (DOI: 10.1016/j.jas.2025.106269) veröffentlichten Ergebnisse erzählen eine faszinierende Geschichte.
Wie ein Reisetagebuch im Zahn
Zähne sind wie winzige Archive. Im Zahnschmelz lagern sich chemische Spuren aus der Umwelt und Nahrung von Tieren und Menschen aus deren Lebzeiten ab. Das Forschungsteam schnitt den Zahn in feine Schichten und analysierte die darin erhaltenen Kohlenstoff-, Sauerstoff-, Strontium- und Blei-Isotope.

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Das Ergebnis liest sich wie ein „Reisetagebuch“ der Kuh: Im Winter fraß sie Futter aus Waldgebieten, im Sommer weidete sie auf offenen Flächen. Die Isotope verraten, dass diese Futterquellen aus verschiedenen Regionen stammten. Und die Blei-Signale zeigen deutlich: Das Tier wuchs in einer Gegend auf, in der uralte Gesteine vorkommen – genau wie in Wales, der Herkunft der berühmten Blausteine von Stonehenge.
Von Wales nach Stonehenge
Damit ist erstmals nachgewiesen, dass Rinder aus Wales mit Stonehenge in Verbindung standen. Das Tier dürfte als Jungtier in dieser Region gelebt haben und wurde später in die Ebene von Salisbury nach Stonehenge gebracht. Immerhin eine für die damalige Zeit beachtliche Strecke von über 200 Kilometern.
„Ein einzelner Zahn erzählt uns eine unglaubliche Geschichte – von jahreszeitlichen Ernährungswechseln, von Wanderungen und von einer Reise, die vor 5000 Jahren stattfand“, zeigt sich Evans fasziniert.
Noch spannender wird es durch einen ungewöhnlichen Isotopenwert: Das Blei könnte nicht nur aus dem Futter stammen, sondern aus den Knochen der Kuh selbst und durch die Belastungen einer Schwangerschaft oder Stillzeit freigesetzt worden sein. Diese Vermutung konnte zudem mit einer speziellen Peptid-Analyse bestätigt werden: Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die Kuh weiblich und trächtig. Für die damaligen Menschen dürfte das Tier daher nicht nur praktisch, sondern vielleicht auch symbolisch bedeutsam gewesen sein, etwa als ein Sinnbild für Fruchtbarkeit und Leben.
Ein Detail mit großer Bedeutung
Dass ausgerechnet die Überreste einer solchen Mutterkuh am Eingang von Stonehenge niedergelegt wurden, ist wohl kaum Zufall. „Wahrscheinlich sollte sie die Anlage und ihre Erbauer symbolisch schützen oder segnen“, vermuten die Forschenden.
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Professor Richard Madgwick von der Cardiff University sieht darin eine wichtige Erkenntnis: „Meist denken wir bei Stonehenge an die großen Steine und ihre imposante Architektur. Doch dieser Zahn zeigt uns die persönliche Geschichte eines einzelnen Tieres und damit auch der Menschen, die es begleiteten.“
Rinder als Helfer beim Transport?
Noch weiter geht die Interpretation von Michael Parker Pearson, einem der bekanntesten Stonehenge-Forscher: „Diese Entdeckung stützt die Verbindung zwischen Stonehenge und Südwest-Wales. Zudem wirft sie die faszinierende Möglichkeit auf, dass Rinder beim Transport der gewaltigen Steine geholfen haben.“
Ob die „Stonehenge-Kuh“ tatsächlich als Zugtier diente oder als rituelles Opfer gedacht war, bleibt offen. Sicher ist nur: Sie war Teil einer außergewöhnlichen Geschichte, die bis heute nachwirkt.
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Recherchequelle: British Geological Survey
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