East Lansing (USA) – Unser Körper ist ein Biotop. Milliarden von Mikroorganismen: Bakterien, Pilze und andere Mikroben besiedeln Haut, Darm und Schleimhäute. Lange galten diese winzigen Mitbewohner vor allem als Verdauungshelfer oder Krankheitskeime. Doch in den letzten Jahren mehren sich die Hinweise, dass das sogenannte Mikrobiom eine viel tiefere Rolle spielt – bis hin zu unserem Immunsystem, Stoffwechsel und sogar unserem Verhalten. Jetzt haben US-Neuromediziner erstmals nachgewiesen: Mikroben können auch die Entwicklung des Gehirns bei Neugeborenen beeinflussen.

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Wie das Team um Yvonne C. Milligan vom Neuroscience Institute an der Georgia State University aktuell im Fachjournal „Hormones & Behaviour“ (DOI: 10.1016/j.yhbeh.2025.105742) berichtet, sei die Erkenntnis deshalb brisnat, weil der moderne medizinische Einsatz rund um Schwangerschaft und Geburt, etwa der routinemäßige Einsatz von Antibiotika oder der Kaiserschnitt, nachweislich die Zusammensetzung des Mikrobioms bei Mutter und Kind verändern. Eine direkte Auswirkung auf die neurologische Entwicklung von Neugeborenen sei damit durchaus möglich, so die Forschenden.
Das „zweite Gehirn“ im Darm
Dass der Darm mit seinem riesigen Nervengeflecht eng mit dem Gehirn verbunden ist, ist nicht neu. Die Forschung spricht vom „Darm-Hirn-Achse“ und meint damit eine Art Kommunikationsnetzwerk zwischen Verdauungstrakt und zentralem Nervensystem. Neu ist jedoch der Nachweis, dass Mikroben direkt zur Bildung und Formung des sich entwickelnden Gehirns beitragen.
„Wir sehen immer deutlicher, dass das Mikrobiom nicht nur ein Mitspieler ist, sondern möglicherweise ein zentraler Regisseur in den frühen Phasen der Gehirnentwicklung“, so GG, Kolleginnen und Kollegen.
Kaiserschnitt und Antibiotika als Weichensteller
Besonders im Fokus steht in der Studie die Art und Weise, wie Kinder auf die Welt kommen. Allerdings sind die Bedenken und damit einhergehend auch die Argumente nicht ganz neu: Bei einer vaginalen Geburt nimmt das Neugeborene erstmals Bakterien aus dem Geburtskanal auf. Diese „erste Besiedlung“ beeinflusst entscheidend, wie sich das Mikrobiom des Babys in den folgenden Wochen und Monaten entwickelt. Bei einem Kaiserschnitt fällt dieser Schritt weg und die Kinder werden mit anderen Bakterien besiedelt, etwa von der Haut der Mutter oder aus der Krankenhausumgebung.
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Ähnlich verhält es sich mit dem Einsatz von Antibiotika kurz vor oder während der Geburt: Antibiotika können gefährliche Infektionen verhindern, doch sie töten zugleich auch nützliche Mikroben ab. Für das Mikrobiom des Kindes bedeutet das: Abhängig von der Ausgangssituation also ein Start unter möglicherweise erschwerten Bedingungen.
Langfristige Folgen?
Die Studie deutet nun an, dass diese frühen Störungen weit über den Darm hinausreichen können. „Das Mikrobiom scheint Signale an das sich entwickelnde Gehirn zu senden, die für Wachstum, Verschaltung und Funktionsweise entscheidend sind. Fehlen bestimmte Mikroben oder geraten sie aus dem Gleichgewicht, könnte dies Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten, emotionales Verhalten oder die Anfälligkeit für neurologische Erkrankungen haben.“
Dennoch Vorsicht vor vorschnellen Schlüssen
Die Forschenden geben auch zu bedenken, dass diese Forschung noch ganz am Anfang stehe, die genauen Mechanismen zu verstehen. Allerdings seien die Daten sind eindeutig genug, um das Thema ernst zu nehmen.
Chance für eine neue Medizin
Statt Panikmache sehen die Autorinnen und Autoren die Ergebnisse eher als Chance: Das Wissen könne langfristig dazu führen, dass Geburtsmedizin anders gedacht wird. Schon heute experimentieren einige Ärztinnen und Ärzte mit sogenannten „Mikrobiom-Therapien“ – etwa der gezielten Gabe von Probiotika, um ein gesundes Gleichgewicht der Mikroben wiederherzustellen. Auch die Idee, Babys nach Kaiserschnitt mit mütterlichen Bakterien zu „impfen“, wird diskutiert.
Darüber hinaus könnte das Mikrobiom eines Tages gezielt genutzt werden, um die Gehirnentwicklung positiv zu beeinflussen – ähnlich wie man heute Vitamine oder Nährstoffe empfiehlt.
Ganz außer Frage stellen die Autoren und Autorinnen die Errungenschaften und in vielen Fällen Notwendigkeit der modernen Geburtshilfe, die bereits Millionen Leben gerettet hat. Kaiserschnitte und Antibiotika sind oft lebensnotwendig. Die neue Studie macht zugleich aber deutlich: Eingriffe, die kurzfristig sicher sind, können langfristige Nebenwirkungen haben, die bislang unterschätzt wurden.
Die Herausforderung der Zukunft bestehe also darin, die Vorteile moderner Medizin zu bewahren und gleichzeitig die Bedeutung des Mikrobioms stärker zu berücksichtigen, so die Forschenden abschließend.
Recherchequelle: Michigan State University
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