Avi Loeb: Zerstören sich technologische Zivilisationen selbst oder replizieren sie sich?

Geschrieben am 04.03.2023
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 6 Minuten – Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Avi Loeb, der am 3. März 2023 im englischsprachigen Original als Essay via TheMedium.com mit dem Titel „Do Technological Civilizations Self-Destruct or Self-Replicate?“ erstveröffentlicht wurde. Der Text wurde – mit freundlicher Genehmigung des Autors (A. Loeb) – durch www.GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi) ins Deutsche […]Lesezeit: ca. 6 Minuten
Symbolbild (Illu.)Copyright/Quelle: Andrew Art (via WikimediaCommons) / Pixabay License

Symbolbild (Illu.)
Copyright/Quelle: Andrew Art (via WikimediaCommons) / Pixabay License

– Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Avi Loeb, der am 3. März 2023 im englischsprachigen Original als Essay via TheMedium.com mit dem Titel „Do Technological Civilizations Self-Destruct or Self-Replicate?“ erstveröffentlicht wurde. Der Text wurde – mit freundlicher Genehmigung des Autors (A. Loeb) – durch www.GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi) ins Deutsche übersetzt. Die vom Autor geäußerten Ansichten sind seine eigenen.

Eine der vorgeschlagenen Lösungen für das Fermi-Paradoxon, das danach fragt, wo alle anderen (im Universum) sind, besagt, dass technologische Zivilisationen aufgrund von selbstzugefügten Schäden (Umweltzerstörung, Kriege, Massenvernichtungswaffen usw.) nur von kurzer Dauer sind. Diese Tendenz verkürzt die Lebensspanne der nachweisbaren Zivilisationen in der Drake-Gleichung (die die Wahrscheinlichkeit von außerirdischer Intelligenz zu berechnen versucht) und schränkt auch ihre Fähigkeit ein, in den interstellaren Raum vorzustoßen.

Unsere eigenen aufkommenden Technologien haben drei gleichzeitige Wunden aufgerissen: die biologischen Auswirkungen von verarbeiteten Lebensmitteln auf die menschliche Gesundheit, der Einfluss der Energieerzeugung auf den Klimawandel und die verletzende Wirkung von Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) in den sozialen Medien auf die politische Polarisierung und die psychische Gesundheit.

Was aber, wenn außerirdische Zivilisationen das Rezept zur Überwindung derartiger Selbstzerstörung gefunden haben? Sind wir bereit, ein außerirdisches Technologiepaket mit dieser ermutigenden Botschaft in unseren Himmeln zu akzeptieren? Und wenn ja, was könnten wir von einem solchen interstellaren Paket lernen?

Die Möglichkeiten zur Identifizierung außerirdischer Technologien in Erdnähe werden in einem neuen wissenschaftlichen Fachartikel erörtert, den ich gemeinsam mit Dr. Sean Kirkpatrick verfasst habe, der als Direktor des All-domain Anomaly Resolution Office (der US-amerikanischen Behörde zu Untersuchungen von unidentifizirten Flugibjekten und Phänomenen) fungiert, die durch den National Defense Authorization Act für das Haushaltsjahr 2022 im Pentagon im Juli 2022 in Abstimmung mit der Direktorin der US-Geheimdienste (Director of National Intelligence, DNI) eingerichtet wurde.

www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen kostenlosen GreWi-Newsletter bestellen +

In unserem Beitrag werden die physikalischen Einschränkungen für Radar- und Infrarotdaten untersucht, die für Objekte gelten, die sich durch die Erdatmosphäre oder die Ozeane bewegen. Diese Einschränkungen könnten die Interpretation von Unidentifizierten Luftphänomenen (Unidentified Aerial Phenomena, UAP) auf der Grundlage der Standardphysik und bekannter Formen von Materie und Strahlung unterstützen. In unserem Paper zeigen wir auch, dass die Reibung solcher Objekte mit der umgebenden Luft oder dem umgebenden Wasser einen hellen optischen Feuerball sowie einen Ionisationsschweif mit zugehörigen Radiosignaturen erzeugen dürfte. Die Leuchtkraft eines solchen Feuerballs skaliert mit der abgeleiteten Entfernung in der fünften Potenz. Der Radarquerschnitt des resultierenden Ionisationsschweifs skaliert proportional zum Radius und zur Länge des Ionisationszylinders. Das Fehlen all dieser beobachtbaren Signaturen könnte zu ungenauen Entfernungs- und Geschwindigkeitsmessungen für Sensoren an einem einzigen Standort führen, ohne dass eine zuverlässige Entfernungsmessung möglich ist.

Im Jahr 2005 beauftragte der US-Kongress die NASA, 90 Prozent aller erdnahen Objekte (NEOs) zu finden, die größer als 140 Meter sind. Die Aufgabe des Kongresses führte zum Bau der Pan-STARRS-Teleskope auf Hawaii. Am 19. Oktober 2017 entdeckte die Pan-STARRS-Himmelsdurchmusterung ein ungewöhnliches erdnahes Objekt (Near Earth Object, NEO), das interstellare Objekt `Oumuamua. Im Gegensatz zu Asteroiden oder Kometen des Sonnensystems schien `Oumuamua eine extrem flache Form zu haben und wurde von der Sonne weggeschoben, ohne einen Kometenschweif aus Gas und Staub zu zeigen, was die Möglichkeit aufkommen ließ, dass er dünn und künstlichen Ursprungs war. Drei Jahre später entdeckte Pan-STARRS ein eindeutig künstliches Objekt, nämlich den Raketenbooster 2020 SO der NASA, der ein ähnliches Verhalten zeigte, nämlich eine extreme Form, einen Schub durch den Strahlungsdruck der Sonne und keinen Kometenschweif, weil seine dünnen Wände aus Edelstahl bestanden.

Am 9. März 2017, sieben Monate vor `Oumuamuas nächster Erdannäherung, kollidierte ein metergroßer interstellarer Meteor (IM2), mit der Erde, wie aus einer kürzlich von mir zusammen mit meinem Studenten Amir Siraj veröffentlichten Arbeit hervorgeht. Überraschenderweise hatte „IM2“ bei großen Entfernungen eine identische Geschwindigkeit relativ zur Sonne und eine identische heliozentrische große Halbachse wie `Oumuamua. Aber die Neigung der Bahnebene von IM2 um die Sonne war völlig anders als die von `Oumuamua, was darauf schließen lässt, dass die beiden Objekte nicht miteinander verwandt sind.

Dennoch lassen die Übereinstimmungen zwischen einigen Bahnparametern von `Oumuamua und IM2 die Möglichkeit aufkommen, dass sie beide von einem künstlichen interstellaren Objekt um ein Mutterschiff abstammen könnten, das bei seinem nahen Vorbeiflug an der Erde viele kleine Sonden freisetzte. Diese „Löwenzahnsamen“, die ich bereits in meinem Buch „Außerirdisch“ (Extraterrestrial) beschrieben habe, könnten durch die Gezeitengravitationskraft der Sonne oder durch eigene Manövrierfähigkeit von ihrem Mutterschiff getrennt werden.

Zum Thema

Eine geringe Ausstoßgeschwindigkeit in großer Entfernung könnte zu einer großen Abweichung von der Flugbahn des Mutterschiffs in Sonnennähe führen. Diese Abweichungen würden sich sowohl in der Ankunftszeit als auch auf die der Entfernung der nächsten Annäherung an die Erde bemerkbar machen. Bei richtiger Planung könnten diese winzigen Sonden die Planeten des Sonnensystems erreichen und erforschen, während das Mutterschiff in einem Bruchteil des Abstands zwischen Erde und Sonne vorbeifliegt, genau wie `Oumuamua etwa. Tatsächlich wären Astronomen nicht in der Lage, diesen „Sprühnebel“ aus Mini-Sonden zu bemerken, da sie nicht genug Sonnenlicht reflektieren, um von den derzeit vorhandenen Durchmusterungsteleskopen bemerkt zu werden – sofern sie eine Größe sog. CubeSats (Kleinstsatelliten im Schukartonformat) oder kleiner haben. Objekte dieser Größe, würden ein Zehntel des Sonnenlichts reflektieren, das aus einer Entfernung, die mit dem Abstand zwischen Erde und Sonne vergleichbar ist, auf ihre Oberfläche trifft. Die würden also einen Lichtstrom erzeugen, der um mehrere Größenordnungen zu schwach ist, um etwa vom Webb-Weltraumteleskop entdeckt zu werden. Im Gegensatz dazu wären aber die Radarsignaturen eines metergroßen Objekts wie „IM2“ mit Weltraumradars bis in eine Höhe von über 36.000 Kilometern nachweisbar, also noch jenseits der Skala geosynchroner Umlaufbahnen. Solche Objekte könnten auch optisch nachweisbar werden, wenn sie sich der Erde nähern, insbesondere wenn sie sich durch die Reibung mit der Luft erhitzen. Mit einem großen Verhältnis von Oberfläche zu Masse eines Fallschirms könnten derart technologische „Löwenzahnsamen“ in der Erdatmosphäre abbremsen, um ein Verglühen zu vermeiden, und dann ihre Absichten, Ziele und Aufgaben verfolgen, wo auch immer sie landen.

In der Nähe eines Sterns könnten außerirdische technologische Sonden das Sternenlicht zum Aufladen ihrer Batterien und flüssiges Wasser als Treibstoff nutzen. Dies würde erklären, warum sie die bewohnbare Region um Sterne anvisieren würden, wo es auf der Oberfläche von Gesteinsplaneten mit einer Atmosphäre – wie auf der Erde – flüssiges Wasser geben könnte. Bewohnbare Planeten wären besonders attraktiv für transmediale Sonden, die sich zwischen Raum, Luft und Wasser bewegen können. Aus großer Entfernung wären Venus, Erde oder Mars zunächst gleichermaßen attraktiv. Bei näherer Betrachtung würde die Erde jedoch Spektralsignaturen von flüssigem Wasser (durch Reflexion von blauem Licht) und Vegetation (durch deren Signatur im sog. Red-Edge-Spektralbereich) auffallen und so vermutlich mehr Aufmerksamkeit erzeugen.

Was aber wäre der Zweck einer interstellaren Reise? In Analogie zu echten Löwenzahnsamen könnten die Sonden beispielsweise den biologischen Bauplan ihrer Absender verbreiten. Wie bei biologischen Samen könnten auch die Rohstoffe auf der Planetenoberfläche als Nährstoffe für die Selbstreplikation oder die wissenschaftliche Erforschung nutzen. Die interstellare Reise vom Rand der Milchstraßen dauert bei Lichtgeschwindigkeit 50.000 Jahre, bei der Geschwindigkeit von chemisch betriebenen Raketen, würde dies eine halbe Milliarde Jahre dauern. Daher ist es vermessen, sich vorzustellen, dass die ursprüngliche Absicht solcher interstellaren Sonden, die lange vor vor unserer eigenen technologischen Entwicklung gestartet wurden, irgendetwas mit uns als technologischer Zivilisation zu tun hätte.

Ausgehend von der Entdeckungsrate interstellarer Objekte schätzte ich in einer Arbeit mit meinem Studenten Amir Siraj, dass auf jeden interstellaren NEO tausend NEOs des Sonnensystems in der gleichen Größe kommen. Die Suche nach interstellaren Meteoriten unter den vielen anderen Meteoriten aus unserem eigenen Sonnensystem ohne Informationen über ihre Einschlagsgeschwindigkeit ist also wie die bekannte Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.

Aus diesem Grund ist der erste interstellare Meteor (IM1), der durch Geschwindigkeitsmessungen des US Space Command bestätigt wurde, das Ziel einer mittlerweile vollständig finanzierten Ozeanexpedition des Galileo-Projekts (…GreWi berichtete). Durch die Bergung von Fragmenten von „IM1“ im kommenden Jahr werden wir hoffentlich herausfinden, ob seine außergewöhnliche Materialstärke darauf zurückzuführen ist, dass er aus einer künstlichen Legierung wie rostfreiem Stahl oder anderen von Menschen noch nicht entwickelten Verbundwerkstoffen hergestellt wurde.

Gibt es funktionierende außerirdische Sonden in der Nähe der Erde? Das wissen wir bisher noch nicht. Aber das Galileo-Projekt, das ich leiten darf, beabsichtigt, diese Möglichkeit mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode zu untersuchen – dies in Folge eines des UFO-/UAP-Bericht des „Office of the Director of National Intelligence“ (ODNI) an den US-Kongress aus dem Jahr 2021. Das hochmoderne Instrumentarium und die Computeralgorithmen des Galileo-Projekts werden in naher Zukunft in der Lage sein, auch neue Daten zu untersuchen.

In meiner Arbeit mit Sean Kirkpatrick vom AARO werden die möglichen physikalischen Eigenschaften von UAP durch Parameter eingeschränkt, die ihre Bewegung und Wechselwirkung mit der Atmosphäre und den Ozeanen auf der Erde bestimmen. Die vorhandenen UAP-Daten sind mit Unsicherheiten behaftet, die ein breites Spektrum an möglichen Interpretationen zulassen. Dies lässt unweigerlich die Frage offen, ob einige Objekte – auch wenn es zunächst so scheint – wirklich ein anomales Verhalten aufweisen.

Wenn man mit dem Unbekannten konfrontiert wird, ist es leicht, die Vorurteile eines Gläubigen oder eines Skeptikers anzunehmen, aber es ist viel schwieriger, ergebnisoffen zuverlässige Beweise zusammenzutragen, die uns zur richtigen Antwort führen werden. Um John F. Kennedys Mond-Rede von 1962 zu paraphrasieren, sage ich: „Die Mitglieder des Galileo-Projekts haben sich dafür entschieden, UAP-Daten zu sammeln und andere Dinge zu tun, nicht weil sie einfach sind, sondern weil sie schwierig sind.“

Prof. Dr. Avi Loeb ist Leiter des „Galileo-Projekts“ in Harvard, einer systematischen wissenschaftlichen Suche nach Beweisen für außerirdische technologische Artefakte. Loeb ist Gründungsdirektor von Harvards Black Hole Initiative, Direktor des Institute for Theory and Computation am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und Vorsitzender des Beirats des Breakthrough Starshot-Projekts. Er ist Autor des Buches „Außerirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten“.

© Avi Loeb / grenzwissenschaft-aktuell.de (Übers.)