Archäologen rätseln über „Das Mädchen mit dem Finkenkopf im Mund“

Geschrieben am 11.06.2021
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 2 Minuten Warschau (Polen) – Bereits Ende der 1960-er Jahre entdeckten Archäologen in einer polnischen Höhle das Skelett eines Mädchens. Erst jetzt wurde der Fund aber ausgewertet und analysiert. Wie sich zeigte, trug das Mädchen einen Finkenschädel im Mund. Doch das ist nicht das einzige Rätsel um die Entdeckung. Wie das Team um Michal Wojenka von der […]Lesezeit: ca. 2 Minuten
Das Skelett des Mädchens mit dem Finkenkopf im Mund aus der Tunel-Wielki-Höhle in Südpolen. Copyright/Quelle: Wojenka et al., 2021 / Prähistorische Zeitschrift / Archive der Fakultät Archäologie, Universität Warschau

Das Skelett des Mädchens mit dem Finkenkopf im Mund aus der Tunel-Wielki-Höhle in Südpolen.
Copyright/Quelle: Wojenka et al., 2021 / Prähistorische Zeitschrift / Archive der Fakultät Archäologie, Universität Warschau

Warschau (Polen) – Bereits Ende der 1960-er Jahre entdeckten Archäologen in einer polnischen Höhle das Skelett eines Mädchens. Erst jetzt wurde der Fund aber ausgewertet und analysiert. Wie sich zeigte, trug das Mädchen einen Finkenschädel im Mund. Doch das ist nicht das einzige Rätsel um die Entdeckung.

Wie das Team um Michal Wojenka von der Universität Warschau aktuell im Fachjournal „Prähistorische Zeitschrift“ (DOI: 10.1515/pz-2021-0008) berichtet, konnten sie das Skelett aus der Tunel-Wielki-Höhle in auf ein Alter von nur 300 Jahren datieren. Schon dieser Umstand ist ungewöhnlich, da derart später Höhlenbestattungen in Europa höchst selten sind: „Höhlenbestattungen fehlen in Europa in historischen Zeiten im Allgemeinen. Aus diesem Grund scheint ein nachmittelalterliches Körpergrab eines Kindes mit mindestens einem Vogelkopf im Mund ein außergewöhnlicher Befund zu sein.“

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Eine plausible Interpretation dieser einzigartigen Bestattung auf der Grundlage von Multiproxy-Analysen, die an den Überresten sowohl des Kindes als auch der Vogelknochen durchgeführt wurden, sei deshalb ein anspruchsvolles Unterfangen.

In dieser Ausschnittsvergrößerung der Titelabbildung wird der Finkenschädel deutlich. Copyright/Quelle: Wojenka et al., 2021 / Prähistorische Zeitschrift / Archive der Fakultät Archäologie, Universität Warschau

In dieser Ausschnittsvergrößerung der Titelabbildung wird der Finkenschädel deutlich.
Copyright/Quelle: Wojenka et al., 2021 / Prähistorische Zeitschrift / Archive der Fakultät Archäologie, Universität Warschau

Die Ergebnisse zeigen, dass es sich um ein 10–12 Jahre altes Mädchen wahrscheinlich fennoskandischer oder baltischer Abstammung handelt, das in der Neuzeit starb und mit Vogelresten in der Höhle begraben wurde. Die Merkmale der Bestattung in Kombination mit genetischen Analysen und Radiokarbondatierungen sprechen dafür, dass das Mädchen während der Invasion von König Carl Gustav in Polen zwischen 1655 und 1657 mit finno-karelischen Truppen der schwedischen Garnison auf der nahe gelegenen Burg Ojców lebte. Vielleicht war es eine Soldatentochter oder ein Dienstmädchen, vielleicht aber auch sogar eine junge Prostituierte.

Die Knochen des Mädchens zeigen Anzeichen für ein reduziertes Wachstum in ihren späteren Lebensjahren, vermutlich aufgrund einer Stoffwechselkrankheit. Allerdings finden sich an dem Skelett keine Spuren von Traumata oder Hinweise darauf, die das Kind einst starb.

Im Gegensatz zum restlichen Europa sind tatsächlich bei den in der russisch-finnisches Region Karelia lebenden Menschen Bestattungen in Wäldern und Höhlen noch bis ins 19. Jahrhundert hinein dokumentiert. Begründet liegt dies in deren Glaubenswelt, die in den Wäldern eine Art Friedhof für jene Menschen sah, die in Wäldern zu Tode kamen.

Warum das Mädchen allerdings einen Finkenkopf im Mund trug, bleibt weiterhin ein Rätsel.

„In vielen Kulturen stellte man sich die Seelen von Kindern als kleine Vögel vor“, schreiben die Forschenden. „Dennoch gibt es aus dieser Zeit bislang keine bekannten Grabfunde bzw. Grabbeigaben in Form von Vögeln, ganz zu schweigen davon, dass diese im Mund eines Verstorbenen platziert wurden.




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Quelle: degruyter.com

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