Wien (Österreich) – Weltraumforscher der Universität Graz haben eine neue Formel für die Suche nach einer zweiten Erde entwickelt. Diese Formel versucht die Frage zu beantworten, wie groß die maximale Anzahl erdähnlicher, lebensfreundlicher Felsplaneten in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, ist. Das Ergebnis erscheint zunächst ernüchternd, dann aber doch relativ.
Wie Forschende des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) berichten, kommen sie in ihrer Studien zu dem Schluss, dass erdähnliche Planeten, also Felsplaneten mit von Stickstoff und Sauerstoff dominierten Atmosphären nicht sehr häufig vorkommen. Mit ihrem Ergebnis stützen die Grazer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen denn auch. die sogenannte Rare-Earth-Hypothese, laut der komplexes Leben und außerirdische Intelligenz in der Milchstraße eher unwahrscheinlich sind.
Leben nach irdischem Vorbild
Allerdings gehen die Forschenden um Dr. Helmut Lammer, die ihre Studie aktuell im Fachjournal „Astrobiology“ (DOI: 10.1089/ast.2024.0116) veröffentlicht haben, auch von erdähnlichem Leben und entsprechend notwendigen Voraussetzung dafür aus und fragen, wie viele potenzielle erdähnliche Lebensräume in unserer Galaxie existieren und wie viele dieser Planeten im Prinzip Sauerstoff atmendes Leben beherbergen könnten.
Entsprechend müssen solche Welten ihre Sterne innerhalb der sogenannten habitablen Zone für komplexes Leben umkreisten. „Es müssen dort außerdem besondere astro- und geophysikalische, sowie biologische Bedingungen erfüllt sein, um ein potenzielles Zuhause für Mikroorganismen, komplexe, Sauerstoff atmende Lebewesen und außerirdische Intelligenzen bieten zu können“, so die Autoren und Autorinnen des IWF. „Da eine Atmosphäre mit Sauerstoffkonzentrationen wie auf der Erde die einzige praktikable Energiequelle für die Entwicklung größerer, tierähnlicher Lebensformen darstellt, können andere mögliche Lebensräume wohl im besten Fall die Heimat primitiverer Mikroorganismen sein.“
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In ihrer Studie diskutieren die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sodann die grundlegenden Anforderungen und Grenzen für komplexe zentimeter- bis metergroße Sauerstoff atmende Lebensformen. Anhand dieser Ergebnisse leiteten sie dann eine Formel ab, die zur Berechnung der maximalen Anzahl erdähnlicher Habitate in unserer Galaxie angewendet werden kann.
Nur bekannte Fakten zählen
„Im Gegensatz zu bekannten Gleichungen wie der Drake-Formel, bei denen viele Parameter hochspekulativ sind, berücksichtigt die neue Formel nur wissenschaftlich quantifizierbare Faktoren“, attestieren Lammer, Kolleginnen und Kollegen. „Alle schlecht eingegrenzten Parameter, wie z. B. der Ursprung des Lebens, werden ignoriert.“
„Durch die Charakterisierung exoplanetarer Atmosphären werden zukünftige Weltraummissionen – wie PLATO, ARIEL oder LIFE – und große bodengestützte Teleskope in der Lage sein, viele der heute noch größtenteils unbekannten Faktoren fein abzustimmen und/oder einzuschränken“, so IWF-Gruppenleiter Lammer. „Dieser Ansatz ermöglicht erstmals eine quantifizierbare Abschätzung der maximalen Anzahl erdähnlicher Habitate.“
Hintergrund
Mit dem für 2027 geplanten Weltraumteleskop „PLATO“ will die Europäische Raumfahrtagentur ESA nach erdähnlichen Planeten um eine Million sonnenähnliche Sterne suchen. Dabei sollen Schlüsselinformationen wie etwa der Planetenradius, mittlere Dichte, Masse und andere physikalische Beschaffenheiten dieser Planeten ermittelt werden, um so herauszufinden, ob auf diesen unerwartet vielfältigen neuen Welten lebensfreundliche Bedingungen herrschen. Die sich noch in der Planung befindliche Weltraummission „LIFE“ soll dann die Atmosphären dieser Planeten auf Biosignaturen, also Spuren von Leben untersuchen.
Der neuartige wissenschaftliche Ansatz ermögliche erstmals eine quantifizierbare Abschätzung nicht nur der maximalen Anzahl erdähnlicher Lebensräume, sondern insbesondere auch des komplexen Lebens, das in unserer Galaxie tatsächlich existieren könnte. „Die neue Formel gibt den Forschern somit erstmalig entscheidende Hinweise über die Häufigkeit komplexen Lebens in der Milchstraße“, so Lammer weiter. „Sie ermöglicht Astronomen und Astronominnen außerdem besser einschätzen zu können, welche Sternsysteme lohnende Ziele für die Suche einer zweiten Erde sein könnten. Ein wichtiges Ergebnis für aktuelle und zukünftige Weltraummissionen.“
In einem zweiten Artikel in „Astrobiology“ (DOI: 10.1089/ast.2023.0076) zeigen die IWF-Forscher und -Forscherinnen die Anwendbarkeit der neuen Formel, indem sie die maximale Anzahl erdähnlicher Habitate in unserer Galaxie ermitteln. „Basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen berücksichtigt diese Abschätzung unterschiedliche stellare, galaktische und planetare Parameter. So werden etwa die gegenwärtige Anzahl von Sternen in der Milchstraße, die sogenannte galaktische habitable Zone und die Häufigkeit von Gesteinsplaneten mit Ozeanen und Kontinenten im richtigen Abstand zu ihrem Heimatstern implementiert. Erstmals wird dabei aber auch die Stabilität erdähnlicher Atmosphären in Wechselwirkung mit der Evolution verschiedener Sterntypen berücksichtigt. Dabei handelt es sich um einen entscheidenden Faktor, der in bisherigen Abschätzungen habitabler Planeten nie zum Tragen kam.
Die Grazer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um IWF-Forscher Dr. Manuel Scherf, Erstautor der zweiten Studie, gehen davon aus, dass erdähnliche Atmosphären um etwas aktivere Sterne als unsere Sonne nicht existieren können. Die Studie beleuchtet auch die im Modell enthaltenen Parameter und weitere Faktoren, die für die Entstehung erdähnlicher Lebensräume und komplexen Lebens von großer Bedeutung sind, kritisch: „Für eine andere Zivilisation in unserer Galaxie, wäre die Erde aufgrund ihrer Seltenheit durchaus ein lohnendes Ziel“, so Scherf.
Nur tausend erdähnliche Welten – Intelligenz noch seltener
Anhand der neuen Formel könne es in unserer Galaxie „maximal mehrere tausend bis hunderttausend erdähnliche Habitate geben, die für die Entstehung komplexer Lebensformen überhaupt infrage kommen könnten“, so die Forschenden. „Die von uns ermittelte Maximalanzahl ist bereits sehr gering. Komplexes Leben wird noch seltener sein.“ Hinzu komme, dass zusätzliche, nicht berücksichtigte Faktoren diese bereits geringe Anzahl vermutlich noch weiter reduzieren werden.
„Wenn man eine durchschnittliche Lebensdauer für eine außerirdische Zivilisation von 10.000 Jahren – ein typischer Wert in bisherigen SETI-Schätzungen – anwendet, stellt sich heraus, dass unsere technologische Zivilisation sogar die einzige sein könnte, die derzeit in der Milchstraße existiert. Gäbe es derzeit andere technologische Zivilisationen in unserer Galaxie, wären diese sehr wahrscheinlich wesentlich älter als unsere eigene“, so Scherf und fügt abschließend hinzu: „Für diese könnte die Erde aufgrund ihrer Seltenheit durchaus ein lohnendes Ziel darstellen.“
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Recherchequelle: ÖAW
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