Albany (USA) – Die Maya-Zivilisation in Mittelamerika zählt zu den fortschrittlichsten Kulturen der Antike. Zu ihren Leistungen in Astronomie und Mathematik zählen komplexe Kalender, präzise Himmelsbeobachtungen und Berechnungen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Eine aktuelle Studie lüftet nun eines der großen Rätsel der Maya: Die Frage, wie sie Sonnenfinsternisse über viele Jahrhunderte hinweg erstaunlich genau vorhersagen konnten.

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Wie die Linguisten und Ethnohistoriker John Justeson von der University at Albany und Justin Lowry von der State University of New York at Plattsburgh (SUNY) aktuell im Fachjournal „Science Advances“ (DOI: 10.1126/sciadv.adt9039) berichten, steht der sogenannte „Dresdner Codex“ im Mittelpunkt der Untersuchung – das bekannteste erhaltene astronomische Manuskript der Maya.
Prominenter Teil des Dresdner Codex“ ist die sogenannte „Finsternistafel“, die über einen Zeitraum von 405 Mondmonaten reicht. Frühere Forschungen konnten weder die interne Logik dieser Tabelle noch die Methode erklären, mit der die Maya sie über Jahrhunderte aktuell hielten. Die aktuelle Studie schließt nun diese Lücke und revidiert zentrale Annahmen früherer Interpretationen.
Ursprung im Lunarkalender
Lange gingen Forschende davon aus, dass die 405-Monats-Periode eigens für die Vorhersage von Sonnen- und Mondfinsternissen entwickelt wurde. Laut der neuen Analyse war der ursprüngliche Zweck jedoch ein anderer: Die Tabelle diente zunächst als Mondkalender, der mit dem heiligen 260-Tage-Kalender (Tzolk’in) der Maya in Einklang gebracht wurde.
Die Forscher und Forscherinnen konnten nun rechnerisch zeigen, dass die 405-Monats-Periode – exakt 11.960 Tage – ein Vielfaches des 260-Tage-Zyklus ist (46 × 260 = 11.960). Diese Übereinstimmung ist zu präzise, um zufällig zu sein. Damit wird deutlich, dass die Maya die Mondzyklen absichtlich so anordneten, dass sie harmonisch mit ihrem religiös-astrologischen Kalendersystem verknüpft waren.
„Die Maya-Astronomen korrelierten die Daten von Sonnenfinsternissen mit den Tagen ihres 260-Tage-Kalenders“, erläutern die Autoren. Die Finsternistafel sei aus einem Lunarkalender hervorgegangen, in dem die 260-Tage-Zählung den Rhythmus der Mondphasen widerspiegelte. Erst daraus entwickelte sich das Modell zur langfristigen Vorhersage von Sonnenfinsternissen.
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Systematische Korrektur über Jahrhunderte
Ein weiterer Durchbruch der Studie betrifft die Langzeitgenauigkeit der Finsternistafel. Bisher nahm man an, dass die Maya nach Ablauf einer 405-Monats-Periode einfach eine neue Tabelle begannen. Doch laut den neuen Berechnungen verwendeten sie ein System überlappender Tabellen, um Fehler durch winzige astronomische Abweichungen auszugleichen.

Quelle: Justeson u. Lowry, Science Advances 2025
Bevor eine alte Tabelle endete, begannen sie eine neue. Allerdings nicht willkürlich, sondern mit präzisen Intervallen von 223 oder 358 Mondmonaten. Diese Zeiträume entsprechen den natürlichen Wiederholungszyklen von Sonnenfinsternissen (dem sogenannten Saros-Zyklus). Durch diese Überlappung blieb die Prognose über Jahrhunderte hinweg korrekt.
Die Forschenden überprüften ihre Hypothese, indem sie die Finsternistafel mathematisch mit einem modernen astronomischen Datensatz verglichen. Dabei simulierten sie alle Sonnenfinsternisse, die zwischen 350 und 1150 n. Chr. im Gebiet der Maya sichtbar gewesen wären. Das Ergebnis: Die Finsternistafel konnte jede beobachtbare Finsternis in diesem Zeitraum korrekt vorhersagen – ein Beweis für die außerordentliche Präzision dieses Systems.
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Mathematische Raffinesse ohne moderne Instrumente
Die Studie verdeutlicht, wie weitreichend das mathematische Denken der Maya war. Ohne Teleskope oder westliche Mathematik entwickelten sie ein Modell, das nicht nur die Umläufe von Sonne und Mond erfasste, sondern auch die langfristigen Abweichungen zwischen beiden Systemen korrigierte. Ihre Berechnungen basierten auf empirischen Beobachtungen über Generationen hinweg – eine Leistung, die auf akribische Aufzeichnungen und hochentwickelte Zahlensysteme schließen lässt.
Der Dresdner Codex, heute in der Sächsischen Landesbibliothek aufbewahrt, erweist sich damit als ein außergewöhnliches Zeugnis wissenschaftlicher Präzision aus präkolumbianischer Zeit. Die beiden Forscher beschreiben ihn als ein „lebendiges Dokument“, das über Jahrhunderte fortlaufend angepasst und verbessert wurde.
Mit der neuen Rekonstruktion der Finsternistafel rücken einmal mehr die erstaunlichen astronomischen Fähigkeiten der Maya in den Vordergrund, komplexe Himmelszyklen mit religiösen und kalendarischen Systemen zu verknüpfen. Zutage tritt eine wissenschaftliche Tiefe, die in der Alten Welt ihresgleichen suchte.
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Recherchequelle: Science Advances
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