Studie zur psychologischen Unterstützung und Nachsorge bei Nahtoderfahrungen

Geschrieben am 20.10.2025
von Andreas Müller

Charlottesville (USA) – Nahtoderfahrungen (Near Death Experiences, NDEs) gelten als zutiefst prägende Bewusstseinserlebnisse, die häufig während lebensbedrohlicher Situationen auftreten. Eine neue Studie der Universität von Virginia liefert erstmals umfassende Daten darüber, welche Art von Unterstützung Betroffene nach einem solchen Erlebnis tatsächlich suchen – und wie hilfreich sie diese empfinden.

Künstlerische Darstellung einer Nahtoderfahrung.Copyright: grewi.de (mit KI erstellt)
Künstlerische Darstellung einer Nahtoderfahrung.
Copyright: grewi.de (mit KI erstellt)

Wie das Forschungsteam um Marieta Pehlivanova und Bruce Greyson von der Division of Perceptual Studies an der University of Virginia School of Medicine aktuell im Fachjournal „Psychology of Consciousness“ (DOI: 10.1037/cns0000439) der. American Psychological Association (APA) berichten, haben sie  167 Personen befragt, die bereits eine Nahtoderfahrung erlebt hatten.

Im Mittelpunkt der Studie stand die Frage, welche professionellen oder spirituellen Unterstützungsangebote sie in Anspruch nahmen, wie diese bewertet wurden und welche Hürden beim Suchen nach Hilfe bestanden.

Nachsorge nach Nahtoderfahrung

Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der Befragten (64 %) gaben an, nach ihrem Erlebnis Unterstützung gesucht zu haben, etwa durch Psychotherapie, seelsorgerische Beratung oder spirituelle Gruppen. Knapp 80 % beschrieben diese Hilfe als „hilfreich“ oder „sehr hilfreich“. Besonders positiv wurden Reaktionen gewertet, wenn das Gegenüber die Erfahrung validierte – also ohne Spott, Pathologisierung oder Skepsis annahm.

Dennoch zeigt die Studie auch deutliche Defizite: Viele Betroffene berichteten, dass sie zunächst Angst vor Ablehnung oder Stigmatisierung hatten. Häufig wurde befürchtet, als „verrückt“ oder „nicht glaubwürdig“ zu gelten. Tatsächlich habe sich diese Sorge in vielen Fällen als berechtigt erwiesen, wenn rund ein Fünftel derjenigen, die ihre NDE gegenüber medizinischem Personal offenlegten, negative oder abweisende Erfahrungen gemacht haben.

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Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt 53 Jahre alt, ihre Nahtoderlebnisse lagen im Mittel rund 23 Jahre zurück. Etwa 44 % hatten während des Erlebnisses messbar vitale Funktionen verloren oder galten zeitweise als klinisch tot. 72 % beschrieben ihr Erlebnis als überwiegend positiv, ein kleinerer Teil jedoch als verwirrend oder belastend.

Wie schon frühere Untersuchungen bestätigen auch die neuen Daten, dass NDEs häufig mit tiefgreifenden Lebensveränderungen einhergehen: 70 % berichteten über einen Wandel ihrer religiösen oder spirituellen Überzeugungen, zwei Drittel über neue Lebenshaltungen, fast die Hälfte über eine veränderte Lebensweise. Viele Betroffene gaben eine nachhaltig geringere Angst vor dem Tod und eine größere Wertschätzung des Lebens an. Gleichzeitig kam es bei rund 20 % zu Beziehungsproblemen oder Trennungen infolge der veränderten Persönlichkeit und Werteorientierung.

Die statistischen Analysen zeigten klare Einflussfaktoren: Wer bereits vor dem Erlebnis psychologische Probleme oder eine belastete Kindheit hatte, suchte häufiger professionelle Hilfe. Ebenso erhöhten starke NDE-Intensität und zahlreiche Nachwirkungen die Wahrscheinlichkeit, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Als besonders hilfreich wurde Unterstützung bewertet, wenn Betroffene bei der ersten Mitteilung über ihre NDE eine positive Reaktion erhielten oder Hilfe aus NDE-nahen Organisationen und Online-Communities bezogen.

Klassische Ansätze weniger hilfreich

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie: Die Unterstützung durch klassische Psychotherapie oder ärztliche Betreuung wurde tendenziell als weniger hilfreich erlebt – ein Hinweis auf die anhaltende „Versorgungslücke“ zwischen Schulmedizin und transpersoneller Erfahrung. Laut Pehlivanova brauche es dringend professionelle Schulungen, um Ärzte und Ärztinnen und Therapeuten besser auf diese Art existenzieller Erfahrungen vorzubereiten.

Im Fazit unterstreicht das Team, dass NDEs keineswegs selten sind: Etwa 15–20 % aller Menschen, die eine lebensbedrohliche Krise überleben, berichten darüber. Trotz der oft positiven Effekte – gesteigertes Mitgefühl, neue Sinnorientierung, spirituelles Wachstum – bleibe die Integration in den Alltag eine große Herausforderung. Fehlendes Verständnis könne zu Isolation, Verunsicherung oder Depression führen.

Die Forschenden um Pehlivanova Greyson fordern daher, Nahtoderfahrungen stärker in die medizinische und psychologische Ausbildung zu integrieren und den Umgang damit zu entpathologisieren: „Validierung und Akzeptanz sind entscheidend, um das Erlebte gesund in das eigene Leben zu integrieren“, so Pehlivanova. „Ein empathisches Umfeld kann den Unterschied machen zwischen einer heilsamen Transformation – und einer lebenslangen inneren Entfremdung.“

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Recherchequelle: APA

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