Ohne Spermium, Eizelle und Gebärmutter: Genetiker erzeugen erstmals synthetischen Embryo

Geschrieben am 04.08.2022
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 3 Minuten Rechovot (Israel) – Genetiker und Genetikerinnen des Weizmann Institute of Science haben erstmals nur mittels Stammzellen von Mäusen einen „synthetischen Embryo“ erzeugt und zeigen damit, wie Stammzellen sich selbst zu Organen organisieren. Die Forschenden suchen auf diese Weise nach neuen Wegen zur Herstellung von Organen und Gewebe zur Transplantation und einen Ersatz für Tierversuche. Wie […]Lesezeit: ca. 3 Minuten
Ansicht des ersten synthetischen Mäuseembryos. Copyright: Copyright/Quelle: J. Hanna et all., 2022 / Weizmann Institute of Science

Ansicht des ersten synthetischen Mäuseembryos.
Copyright: Copyright/Quelle: J. Hanna et all., 2022 / Weizmann Institute of Science

Rechovot (Israel) – Genetiker und Genetikerinnen des Weizmann Institute of Science haben erstmals nur mittels Stammzellen von Mäusen einen „synthetischen Embryo“ erzeugt und zeigen damit, wie Stammzellen sich selbst zu Organen organisieren. Die Forschenden suchen auf diese Weise nach neuen Wegen zur Herstellung von Organen und Gewebe zur Transplantation und einen Ersatz für Tierversuche.

Wie das Team um Prof. Jacob Hanna aktuell im Fachjournal „Cell“ (DOI: 10.1016/j.cell.2022.07.028) berichtet, ist es ihnen erstmals gelungen, ein synthetisches Embryomodell von Mäusen außerhalb der Gebärmutter und einzig allein mittels Stammzellen sozusagen in einer Petrischale zu erzeugen – also auch gänzlich ohne den Befruchtungsvorgang mittels väterlicher Spermien und der mütterlichen Eizelle. Von der Methode erhoffen sich die Forschenden neue Einblicke in die Fähigkeiten von Stammzellen, unterschiedliche Organe im Innern eines sich entwickelnden Embryos zu bilden.

Das folgenden Video zeigt das synthetische Maus-Embryonen-Modell am 8. Tag seiner Entwicklung. Erkennbar sind ein schlagendes Herz, einen Dottersack, die Plazenta und die zusehend sich entwickelnde Blutzirkulation.

“Der Embryo ist die beste Organe-produzierende Maschine und der beste 3-D-Biodrucker, die wir kennen. Deshalb wollten wir genau herausfinden, was da genau vor sich geht“, erläutert Hanna die Experimente. „In bisherigen Versuchen, waren die spezialisierten Zellen nur schwer zu erzeugen oder zu stark voneinander abweichend, weshalb sie sich eher zu einem Mischmasch als zu sauber strukturierten Gewebe entwickelten. Wir haben diese Schwierigkeiten nun überwunden, indem wir das selbstorgansierende Potenzial, das in den Zellen selbst steckt, freigesetzt haben“, erklärt Hanna.

Dies gelang den Genetikern und Genetikerinnen aufbauend auf früheren Forschungserfolgen, etwa mit einer von ihnen entwickelten Methode zur Reprogrammierung von Stammzellen zurück in jenes frühe Entwicklungsstadium, in denen die Stammzellen noch über das größte Potenzial verfügen, sich in nahezu jede Form unterschiedlicher Zelltypen zu entwickeln.

Die Entwicklung eines synthetischen Embryo-Modells von Tag 1 bis 8 (v.o.l.n.u.r.). Copyright/Quelle: J. Hanna et all., 2022 / Weizmann Institute of Science

Die Entwicklung eines synthetischen Embryo-Modells von Tag 1 bis 8 (v.o.l.n.u.r.).
Copyright/Quelle: J. Hanna et all., 2022 / Weizmann Institute of Science

Entwickeln konnte sich der so gezüchtete synthetische Mäuseembryo dann innerhalb einer von den Forschenden seit einigen Jahren entwickelten und stets verbesserten elektronischen Maschine zur Aufzucht von Embryonen außerhalb des Mutterleibes – eine Maschine, in der die Embryonen in einer Art künstlicher Gebärmutter von einer Nährstofflösung ernährt und die Plazenta durch einen künstlichen Blutfluss sowie der Sauerstoff- und Druckaustausch simuliert werden.

Allerdings: Von 10.000 Versuchen entwickelten sich gerade einmal 50 (0,5 Prozent) erfolgreich bis hin zum schlagenden Herzen, Blutfluss; Dottersack und Plazenta.

Tag 8 im ‘Leben” eines natürlichen Mäuseembryos (unten) und eines synthetischen Modells (oben). Der synthetische Embryo gleich seinem natürlichen Vorbild um bis zu 95 Prozent. Copyright/Quelle: J. Hanna et all., 2022 / Weizmann Institute of Science

Tag 8 im ‘Leben” eines natürlichen Mäuseembryos (unten) und eines synthetischen Modells (oben). Der synthetische Embryo gleich seinem natürlichen Vorbild um bis zu 95 Prozent.
Copyright/Quelle: J. Hanna et all., 2022 / Weizmann Institute of Science

Die erfolgreich verlaufenden Reihen entwickelten sich im Vergleich zu natürlichen Mäusen bis zum 8,5 Tag normal, was der Hälfte der Austragezeit bei Mäusen entspricht. Im Vergleich mit natürlichen Mäusen zeigten die synthetischen Embryonen dabei eine bis zu 95-prozentige Ähnlichkeit in Form, Ausprägung und Funktion der inneren Organstrukturen.

Laut Hanna, Kollegen und Kolleginnen stellt der Forschungserfolg ein neues Betätigungsfeld dar: „Unsere nächste Herausforderung wird es nun sein, noch besser zu verstehen, wie und woher Stammzellen ‚wissen‘, was sie tun sollen und wie sie sich selbst zu Organen und an den richtigen Orten im Innern des Embryos zusammenfinden.“

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Neben der Hoffnung auf die zukünftige Nutzung der Methode zur Herstellung von Transplantationsorganen und -gewebe könnte die Methode auch die Notwendigkeiten von Tierversuchen reduzieren: „Statt unterschiedliche Protokolle zur Züchtung jedes einzelnen Zelltyps zu entwickelt – beispielsweise jene der Nieren oder Leber – könnten wir nun eines Tages vielleicht in der Lage sein, ein synthetisches Embryonen-Modell zu entwickeln und darin jene Zellen zu isolieren, die wir benötigen“, so Hanna abschließend. „Wir müssten den sich entwickelnden Organen nicht erst diktieren, wie und wo sie sich entwickeln müssen. Der Embryo selbst macht das schließlich am allerbesten.“




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Recherchequelle: Weizmann Institute of Science

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