DNA-Analyse zeigt: Diverse Mutationsereignisse führten zum modernen Menschen

Geschrieben am 26.07.2022
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 3 Minuten Barcelona (Spanien) – Eine aktuelle DNA-Studie zeigt: Kein und linearer Prozess, sondern mehrere gezielte Mutationsschübe führten zur Entwicklung vom Frühmenschen hin zum modernen Menschen, dem Homo sapiens. Einzelne Schlüsselmutationen oder gar „Menschwerdungs-Gene“ schließen die Wissenschaftler hingegen aus. Wie das Team um Alejandro Andirkó und Prof. Cedric Boeckx von der Universidad de Barcelona aktuell im Nature-Fachjournal […]Lesezeit: ca. 3 Minuten
Symbolbild: Evolution des modernen Menschen (Illu.) Copyright/Quelle: Pixabay.com

Symbolbild: Evolution des modernen Menschen (Illu.)
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Barcelona (Spanien) – Eine aktuelle DNA-Studie zeigt: Kein und linearer Prozess, sondern mehrere gezielte Mutationsschübe führten zur Entwicklung vom Frühmenschen hin zum modernen Menschen, dem Homo sapiens. Einzelne Schlüsselmutationen oder gar „Menschwerdungs-Gene“ schließen die Wissenschaftler hingegen aus.

Wie das Team um Alejandro Andirkó und Prof. Cedric Boeckx von der Universidad de Barcelona aktuell im Nature-Fachjournal „Scientific Reports“ (DOI: 10.1038/s41598-022-13589-0) berichtet, entstanden viele der für den modernen Menschen (Homo sapiens) charakteristischen Genvarianten und damit verbundenen Eigenschaften vor mehr als 100.000 Jahren. Ein weiterer Schub, innerhalb dessen gezielt das Gehirn und das Verhalten betroffen war, folgte dann vor rund 40.000 Jahren. Dieser evolutionäre Schritt fiel zeitlich mit der Auswanderung des Homo sapiens aus Afrika, dem Anwachsen der Population und deren Ausbreitung in Eurasien zusammen.

Grundlage der Studie war eine Analyse jener bekannten jüngeren Mutationen, die sich zwar in Populationen moderner Menschen, nicht aber in denen anderer Frühmenschenarten wie etwa den Neandertalern oder Denisova-Menschen finden.

„Durch neue Analysemethoden entsteht derzeit zusehends ein tieferes Verständnis über die Geschichte unserer Art. Dennoch ist es schwer, genau zu bestimmen, wann bestimmte genetische Varianten, die uns von anderen Menschenarten unterscheiden, entstanden sind. In unserer Studie haben wir diese verschiedenen Varianten erstmals zeitlich zugeordnet“, erläutert Andirkó. „Dabei haben wir entdeckt, wie sich diese Varianten über die Zeitlinie hinweg gehäuft haben. Diese Häufungen markieren beispielsweise jenen Punkt vor etwa 100.000 Jahren, an dem sich der Homo sapiens von anderen Menschenarten getrennt hat.

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Die Ergebnisse der Studie zeigen zugleich auch Unterschiede in den einzelnen evolutionären Perioden. So stimmt etwa die Entstehung der Genvarianten für das charakteristische Verhalten und die flache Gesichtsstruktur des Homo sapiens, die uns von anderen Menschenarten unterscheidet, zeitlich auch mit den ersten, diese Eigenschaften unterstützenden archäologischen Funden aus einer Zeit vor rund 300.000 bis 500.000 Jahren überein.

Die Forscher haben auch Genvariationen untersucht, die sich auf die Entwicklung des Gehirns ausgewirkt haben und die zugleich auch das reichhaltige Repertoire unseres modernen menschlichen Verhaltens erklären. Hierzu gehören die Entwicklung eines größeren Volumens verschiedener Hirnregionen, wie etwa dem Kleinhirn oder des sog. Hirnbalkens (Corpus Callosum). “Wir können zeigen, dass Hirngewebe bestimmte genomische Ausdrucksprofile zu unterschiedlichen Zeiten in unserer Geschichte aufweisen. Bestimmte Gene, die mit der neuronalen Entwicklung in Verbindung stehen, waren zu bestimmten Zeiten stärker ausgeprägt als zu anderen.“

Die Ergebnisse der Studie vervollständigen demnach eine mittlerweile in der evolutionären Anthropologie vorherrschende Vorstellung, dass es keine lineare Entwicklungsgeschichte unserer Art gibt, sondern dass stattdessen unterschiedliche Arme unseres evolutionären Stammbaums zeitweise nebeneinander koexistiert und sich miteinander gekreuzt haben. Allerdings war diese Vorstellung nicht immer schon vorherrschend. Lange Zeit gingen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen davon aus, dass die Evolution des Homo sapiens geradlinig, linear verlief und im modernen Menschen gipfelte. „Die große Bandbreite der menschlichen Diversität in der Vergangenheit hat Anthropologen aber von jeher überrascht. Selbst zum Homo sapiens gibt es Fossilfunde (etwa jene von Jebel Irhoud; …GreWi berichtete), die Merkmale aufweisen, anhand derer einige Wissenschaftler zweifelten, dass es sich um moderne Menschen handelte und die lange Zeit archaischen Arten zugeschrieben wurden. Deswegen sprechen wir nun auch eher von einem evolutionären Mosaik“, so Andirkó und führt dazu weiter aus: „Unsere Ergebnisse zeichnen nun ein Bild davon, wie sich unsere Genetik verändert hat. Dieses Bild passt zu der Vorstellung, dass es keine Beweise dafür gibt, dass es nur ein oder nur sehr wenige Schlüsselmutationen oder spezielle Menschwerdungs-Gene gab, die uns zum modernen Menschen machten.“ Vielmehr waren es viele und teilweise kleine Variationen, die zu Veränderungen führten, die uns zu dem machten, was wir heute sind.




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Recherchequelle: Universidad de Barcelona, Nature

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