Sinneswandel bei prominentem Skeptiker: „Die Parapsychologie ist keine Pseudowissenschaft“

Geschrieben am 23.09.2021
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 4 Minuten London (Großbritannien) – Von jeher stehen grenzwissenschaftlich-anomalistische Forschungsbereiche wie die Parapsychologie unter der Kritik und dem Vorwurf, es handele sich nicht um ordentliche Wissenschaften, sondern um eine Pseudowissenschaft. Allen voran vertreten sogenannte Skeptiker diese Meinung. Jetzt hat ein prominenter Skeptiker, der britische Psychologe Prof. Chris French allerdings seinen Sinneswandel in dieser Frage bekundet und erklärt, […]Lesezeit: ca. 4 Minuten
Chris French auf dem World Skeptics Congress 2012 in Berlin. Copyright: Tokenskeptic (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0

Chris French auf dem World Skeptics Congress 2012 in Berlin.
Copyright: Tokenskeptic (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0

London (Großbritannien) – Von jeher stehen grenzwissenschaftlich-anomalistische Forschungsbereiche wie die Parapsychologie unter der Kritik und dem Vorwurf, es handele sich nicht um ordentliche Wissenschaften, sondern um eine Pseudowissenschaft. Allen voran vertreten sogenannte Skeptiker diese Meinung. Jetzt hat ein prominenter Skeptiker, der britische Psychologe Prof. Chris French allerdings seinen Sinneswandel in dieser Frage bekundet und erklärt, warum er die Parapsychologie nicht länger als Pseudowissenschaft bezeichne, sondern als Wissenschaft anerkenne.

Chris French selbst ist emeritierter Professor am Department of Psychology der University of London, wo er auch Leiter der Forschungseinheit über Anomalistische Psychologie ist. Durch Auftritte in Rundfunk und TV ist er für seine kritisch-skeptischen Betrachtungen zu paranormalen Behauptungen vornehmlich im englischen Sprachraum bekannt. French schreibt für die Zeitschriften „The Guardian“ und „The Skeptic“, dessen Herausgeber er selbst lange Zeit war. Auch sein neuestes Buch widmet er unter dem Titel „Anomalistic Psychology: Exploring Paranormal Belief and Experience“ der anomalistischen Psychologie und der Erforschung paranormaler Glaubensansätze und Erfahrungen.

Umso erstaunlicher sind nun aber Frenchs jüngste Aussagen in einem am 22. September 2021 auf der Webseite der Zeitschrift „The Skeptic“ erschienen Artikel mit dem Titel „Warum ich nun glaube, dass die Parapsychologie eine Wissenschaft und keine Pseudowissenschaft ist“ (Why I now believe parapsychology is a science not a pseudoscience ). Darin erläutert der Autor:

„Schon im vergangenen Dezember habe ich im ‚The Skeptic‘ meine Gründe für meinen Sinnenwandel zu einer ganzen Anzahl von Facetten des Glaubens an das Paranormale dargelegt. Ich habe schon damals argumentiert, dass für mich ein wichtiger Teil des gesunden Skeptizismus darin liegt, dass man stets offen dafür ist, seine Meinungen zu einem Thema im Licht neuer Beweise auch zu ändern. Am Ende dieses Beitrages habe ich dann erklärt, dass ich in einem zukünftigen Artikel die Gründe für meine neue Position zum wissenschaftlichen Status der Parapsychologie darlegen werde – Gründe, von denen ich ausgehe, dass sie nur von einer sehr kleinen Minderheit innerhalb der Skeptiker-Gemeinde geteilt werden.“

Hintergrund
Die Parapsychologie versteht sich selbst als wissenschaftlichen Forschungszweig, der angeblich jenseits des normalen Wachbewusstseins liegende psychische Fähigkeiten untersucht, die das normale Erkenntnisvermögen überschreiten, und ihre Ursachen sowie ein mögliches Leben nach dem Tod. Obwohl die Parapsychologie seit über 120 Jahren als wissenschaftliche Unternehmung existiert, wird sie von der Wissenschaftsgemeinde allgemein nicht als etablierte Wissenschaft anerkannt. Gründe hierfür sind Behauptungen laut derer etwa die Anzahl der methodisch abgesicherten empirischen Untersuchungen zu den behaupteten paranormalen Phänomenen zu gering sei, um die Einführung neuer „Effekte“ in das Corpus der anerkannten wissenschaftlichen Fakten rechtfertigen zu können. Laut der deutschsprachigen Wikipedia sieht „die Mehrheit der Wissenschaftler sieht die Existenz solcher Phänomene als unbewiesen an und bezeichnet die Parapsychologie als Pseudowissenschaft.“

Nachdem French in seinem Beitrag unterschiedliche Argumente diskutiert, laut derer es sich bei der Parapsychologie nicht um eine ordentliche Wissenschaft, sondern um Pseudowissenschaft handelt, erklärt er dann, was ihn nun jedoch dazu gebracht habe, seine Meinung über den wissenschaftlichen Status der Parapsychologie zu revidieren: „Ich habe einen Studie von Marie-Cetherine Mousseau gelesen, die sich der Frage mit einem empirischen Ansatz genähert und die Inhalte dreier anerkannter wissenschaftlicher Mainstream-Journale, u.a. des ‚British Journal of Psychology‘, des ‚Journal of Ohysics B: Atomic Molecular and Optical Physics‘ sowie vierer grenzwissenschaftlicher Journale wie etwa das ‚Journal of Scientifc Exploration‘ oder das „Journal of Prapsychology‘ analysiert hat.

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Die Inhalte dieser Fachjournale hat sie dann im Hinblick auf unterschiedliche Kriterien beurteilt, anhand derer allgemein Wissenschaft von Pseudowissenschaft unterschieden wird. Die Ergebnisse dieses Vergleichs können die Behauptung, die Parapsychologie sei eine Pseudowissenschaft, nicht stützen.“ So finde sich kein Beweis für die immer wieder vorgebrachte Behauptung, die Parapsychologie lege einen Schwerpunkt auf Bestätigung anstelle der Widerlegung von Hypothesen. „Tatsächlich zeigt (Mousseaus Studie), dass nahezu die Hälfte aller Fachartikel in den grenzwissenschaftlichen Fachzeitschriften eine Widerlegung der zugrundeliegenden Hypothesen aufzeige und dass im Vergleich zu exakt keinerlei Artikeln in den Fachjournalen des wissenschaftlichen Mainstreams“, kommentiert French. Zudem finde sich ebenfalls kein Beweis für einen „unveränderlichen Glaubensansatz“ in den Artikel der grenzwissenschaftlichen Journale, wenn sich 17 Prozent der dortigen Artikel mit Theorien und neuen Hypothesen beschäftigen.

French schreibt dazu weiter:
„Gab es (in den grenzwissenschaftlichen Fachzeitschriften) Beweise für ein ‚übermäßiges Vertrauen in anekdotische und Zeugenaussagen, um Behauptungen zu untermauern‘, wie dies tatsächlich in einigen Pseudowissenschaften zu beobachten ist? Nein. ‚43 % der Artikel in diesen Zeitschriften befassen sich mit empirischen Sachverhalten und fast ein Viertel berichtet von Laborexperimenten.‘ (Mousseau, 2003, S. 273). Gab es ein ‚Fehlen der Selbstkorrektur‘? Nein. Die Parapsychologie scheint bei diesem Kriterium sogar besser abzuschneiden als die Mainstream-Wissenschaften: ‚… 29% der Artikel in grenzwissenschaftlichen Fachzeitschriften […] diskutieren Forschungsfortschritte, aufgetretene Probleme, erkenntnistheoretische Fragen. Diese Art von Artikel fehlt in den untersuchten Mainstream-Journalen völlig.“ (S. 275). Wie sieht es mit Verbindungen zu anderen Forschungsfeldern aus? Mousseau (2003) fand dazu heraus, dass über ein Drittel der Zitate in grenzwissenschaftlichen Fachzeitschriften Artikel in Mainstream-Wissenschaftszeitschriften wie Physik-, Psychologie- und Neurowissenschaftsjournalen waren. Im Gegensatz dazu wurden in Mainstream-Wissenschaftsartikeln überwiegend Artikel aus demselben Bereich zitiert (90% in der Gesamtstichprobe, aber 99% in den Physikzeitschriften).“

Somit resümiert French für sich: „Auf der Grundlage dieser Analyse halte ich es nicht für fair, die Parapsychologie als Pseudowissenschaft zu bezeichnen.“ Er selbst habe an zahlreichen parapsychologischen Untersuchungen teilgenommen, bei denen zwar keine paranormalen Phänomene bewiesen wurden, die aber dennoch ganz klaren wissenschaftlichen Standards folgten.

– Frenchs ausführlichen Artikel im englischsprachigen Original finden Sie HIER




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Quellen: The Skeptic

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