Studie findet Belege für Trauer von Primatenmüttern um verstorbenen Nachwuchs

Geschrieben am 22.09.2021
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 4 Minuten London (Großbritannien) – Schon oft haben Verhaltensforscher beobachtet, dass Primatenmütter die Körper verstorbener Kinder noch vergleichsweise lange Zeit mit sich umhertragen und halten. Eine aktuelle Meta-Studie hat die vorliegenden dokumentierten Fälle dieses Verhaltens nun eingehend analysiert und kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei tatsächlich um Trauerverhalten der Affenweibchen zu handeln scheint. Das wiederum […]Lesezeit: ca. 4 Minuten
Ein Pavianweibchen trägt den Körper seines verstorbenen Kindes mit sich. Copyright: thanatobase.mystrikingly.com

Ein Pavianweibchen trägt den Körper seines verstorbenen Kindes mit sich.
Copyright: thanatobase.mystrikingly.com

London (Großbritannien) – Schon oft haben Verhaltensforscher beobachtet, dass Primatenmütter die Körper verstorbener Kinder noch vergleichsweise lange Zeit mit sich umhertragen und halten. Eine aktuelle Meta-Studie hat die vorliegenden dokumentierten Fälle dieses Verhaltens nun eingehend analysiert und kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei tatsächlich um Trauerverhalten der Affenweibchen zu handeln scheint. Das wiederum belegt, dass die Tiere den Tod auch als emotionales Konzept und seine Konsequenzen verstehen.

Wie das Team um Dr. Alecia Carter und Elisa Fernández Fueyo vom University College London aktuell im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“ (DOI: 10.1098/rspb.2021.0590) berichtet, haben sie 126 Publikationen mit insgesamt 409 beschriebenen Fällen über das beobachtete Verhalten innerhalb von mehr als 50 unterschiedlichen Primatenarten ausgewertet.

Während Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen immer noch darüber streiten, ob auch Primaten den Tod als solchen und seine Konsequenzen begreifen, stütze das Ergebnis der Studie die Vorstellung davon, das Primatenweibchen durchaus ein Bewusstsein für den Tod besitzen oder entwickeln können. „Unsere Studie legt nahe, dass Primaten in ähnlicher Weise lernen können, was der Tod eines Kindes oder Artgenossen bedeutet, wie wir Menschen. Es kann sein, dass Primaten hierzu erleben und erfahren müssen, dass der Tod zu einer lang anhaltenden ‚Funktionsstörung‘ führt, vergleichbar mit den Todes-Konzept von uns Menschen.“ Allerdings beantworte die Studie noch nicht die Frage, ob Primaten auch verstehen, dass der Tod ein universelles Konzept ist und dass alle Lebewesen einmal sterben müssen. „Gut möglich, dass wir diese Frage nie beantworten werden können.“

Die Studie habe aber ganz sicher Auswirkungen auf unser Verständnis darüber, wie nicht-menschliche Arten Trauer verarbeiten. Schließlich sei bekannt, dass Menschenmütter, die eine Totgeburt erleiden, aber die Möglichkeit haben, ihr tot geborenes Kind noch eine Weile bei sich zu halten, weniger oft schwere Depressionen ob ihres Verlustes erleiden – vermutlich, weil sie auf diese Weise die Möglichkeit haben, ihre Verbindung zu ihrem verlorenen Kind auszudrücken, den Trauerprozess intensiv zu erleben.

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„Einige Primatenmütter scheinen auch Zeit zu benötigen, um sich mit ihrem Verlust auseinanderzusetzen. Das zeigt uns einmal mehr, wie stark und wichtig die mütterliche Verbindung für Primaten und vermutlich auch für viele Säugetiere ist“, so Carter.

Von den in der Studie untersuchten Arten zeigten 80 Prozent jenes Verhalten, das die Forschenden als „corpse carrying behaviour“ bezeichnen. Auch wenn dieses „Leichentragen“ bei vielen Primatenarten beobachtet werden konnte, beschreiben die meisten Fälle dieses Verhalten dennoch bei Menschenaffen und Meerkatzenverwandten Arten (Affen der Alten Welt). Letztere tragen ihren verstorbenen Nachwuchs zudem am längsten mit sich.

Die Forscher stellten auch fest, dass es auch von der Art abhängt, ob Mütter die Körper ihrer verstorbenen Kinder mit sich tragen: „So findet sich das Leichentragen bei Arten, die sich schon vor langer Zeit evolutionäre getrennt haben, wie etwa Lemuren, nicht. Dennoch kann auch hier ein Ausdrücken von Trauer durch andere Verhaltensweisen beobachtet werden.“

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Auch spiele das Alter der Mutter einer zum Zeitpunkt des Todes des Säuglings und die Art und Weise eine Rolle, wie das Kind starb, eine Rolle für die Wahrscheinlichkeit, dass die eine Säuglingsleiche mit sich getragen werde. So fanden die Forschenden etwa heraus, dass jüngere Mütter ihre Kinder nach dem Tod eher trugen, während traumatische Todesfälle wie Kindstötung oder Unfälle weniger wahrscheinlich zum Tragen von Leichen führten als Todesfälle durch nicht-traumatische Ereignisse wie Krankheiten. Die Studie ergab auch, dass bei den Primatenarten, die ihre toten Säuglinge weiterhin mit sich tragen, die Tragedauer der Leiche abhängig von der Stärke der Mutter-Kind-Bindung in Abhängigkeit zum Alter des Säuglings zum Zeitpunkt des Todes abhängig ist und entsprechend variiert. So wurden tote Säuglinge länger getragen, wenn sie in jüngerem Alter starben. Die Fälle nehmen offenbar zusehends ab, wenn die Verstorbenen zum Todeszeitpunkt bereits über die Hälfte des Entwöhnungsalters hinaus waren. „Wir zeigen, dass Mütter, die beim Tod stärker an ihr Kind gebunden waren, die Leiche länger tragen und damit Emotionen möglicherweise eine wichtige Rolle spielen“, erläutert Fernández Fueyo und führt dazu weiter aus: „Unsere Studie zeigt jedoch auch, dass Primatenmütter durch Erfahrungen mit dem Tod und externen Hinweisen möglicherweise ein besseres Bewusstsein für den Tod erlangen und sich daher „entschließen“, ihren toten Säugling nicht mit sich herumzutragen, auch wenn sie möglicherweise noch verlustbezogene Emotionen erleben. Wir fanden zudem heraus, dass Bindungen, insbesondere die Mutter-Kind-Bindung, möglicherweise die Reaktionen von Primaten auf den Tod antreiben. Aufgrund unserer gemeinsamen Evolutionsgeschichte ähneln menschliche soziale Bindungen in vielerlei Hinsicht denen nicht-menschlicher Primaten. Daher ist es wahrscheinlich, dass menschliche Bestattungspraktiken und Trauer ihren Ursprung in sozialen Bindungen haben.“

Die thanatologischen Verhaltensweisen, die wir heute bei nicht-menschlichen Primaten sehen, könnten demnach auch bei frühen menschlichen Spezies vorhanden gewesen sein – und sie könnten sich während der menschlichen Evolution zu den verschiedenen Ritualen und Praktiken verwandelt haben: „Allerdings brauchen wir mehr Daten, um unser Verständnis dafür weiterzuentwickeln und wie sehr sich das Verhalten von Primaten in Bezug auf den Tod nicht nur durch Bindungen, sondern auch durch die damit verbundenen Emotionen erklären lässt und damit menschlicher Trauer ähnelt.“

Abschließend räumen die Studienautoren aber ein, dass ihre Studie aufgrund der unsystematischen Erfassung des thanatologischen Verhaltens mehrere Einschränkungen unterliegen kann. Um diese anzugehen, haben sie die Website „ThanatoBase“ ins Leben gerufen, die auch andere Forschende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einlädt, ihre eigenen Beobachtungen zu einer Datenbank und somit dazu beizutragen, grundlegende Fragen zur Evolution der Kognition und Emotion von Tieren zu beantworten.




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Recherchequelle: University College London

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