Bonner Studie liefert Hinweise auf eine „neue Physik“

Geschrieben am 14.09.2021
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 3 Minuten Bonn (Deutschland) – Berechnungen von Bonner Teilchenphysikern legen nahe, dass das Standardmodell der Teilchenphysik vermutlich an zentralen Punkten geändert werden muss. Wie die Pressemitteilung der Universität Bonn erläutert, mehren sich in jüngster Zeit In experimentelle Beobachtungen, die von den Vorhersagen dieser weithin akzeptierten physikalischen Theorie abweichen. Hintergrund Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die Bausteine, aus […]Lesezeit: ca. 3 Minuten
Symbolbild Copyright: goodlynx (via Pixabay.com) / Pixabay License

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Bonn (Deutschland) – Berechnungen von Bonner Teilchenphysikern legen nahe, dass das Standardmodell der Teilchenphysik vermutlich an zentralen Punkten geändert werden muss.

Wie die Pressemitteilung der Universität Bonn erläutert, mehren sich in jüngster Zeit In experimentelle Beobachtungen, die von den Vorhersagen dieser weithin akzeptierten physikalischen Theorie abweichen.

Hintergrund
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die Bausteine, aus denen die Welt zusammengesetzt ist – wir Menschen, die Sandkörner am Strand, das Meereswasser, in dem wir uns abkühlen, aber auch die Sonne, die auf uns niederbrennt. Außerdem erklärt das Modell, welche Kräfte zwischen diesen Elementarteilchen wirken, und erlaubt es, viele physikalische Phänomene zu verstehen.

Wie Dr. Chien-Yeah Seng und Prof. Dr. Ulf-G. Meißner vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn aktuell in der Fachzeitschrift „Physics Letters B“ (DOI: 10.1016/j.physletb.2021.136522) berichten, gibt es über das Modell hinaus allerdings auch Fragen, die diese Theorie nicht beantworten könne: „So gehen die meisten Forscherinnen und Forscher davon aus, dass 95 Prozent unseres Universums aus dunkler Materie und dunkler Energie bestehen, die wir mit unseren Messinstrumenten nicht direkt nachweisen können. Aus dem Standardmodell lässt sich die Existenz dieser mysteriösen Komponenten aber nicht herleiten“, erläutert Seng.

Viele Forschende gehen deshalb davon aus, dass das Standardmodell noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sondern ergänzt oder sogar grundlegend verändert werden muss. Tatsächlich sprechen auch immer mehr experimentelle Befunde, etwa die zum Zerfall der sogenannten Kaonen genau für diesen Anpassungsbedarf. „Diese Teilchen sind ein Bestandteil der kosmischen Strahlung, die von Sternen und Galaxien ausgeht. Sie sind nicht stabil, sondern zerfallen im Schnitt nach wenigen Milliardstel Sekunden.“

„Ein Parameter des Standardmodells namens Vus beschreibt diesen Zerfall. Sein Wert lässt sich aus den Messdaten von Experimenten rechnerisch extrahieren. Wenn man das jedoch für verschiedene Zerfallswege von Kaonen macht, so erhält man unterschiedliche Ergebnisse für Vus. Das könnte ein Hinweis von Physik jenseits des Standardmodells sein.“

Grundsätzlich gebe es aber drei mögliche Gründe für diese Diskrepanz, fügen die beiden Wisseschaftler hinzu: Erstens können die Messungen in den Experimenten falsch oder zu ungenau sein. Zweitens ist vielleicht die Berechnung der relevanten Zerfälle im Rahmen des Standardmodells nicht präzise genug. Oder, drittens, das Standardmodell ist an diesem Punkt tatsächlich unzutreffend.

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„Die erste Erklärung gilt inzwischen als unwahrscheinlich“, betont Prof. Dr. Ulf Meißner vom Helmholtz-Institut. „Zum einen ist es heute immer exakter möglich, Vus experimentell zu bestimmen. Zum anderen wurden diese Messungen inzwischen schon viele Male wiederholt.“

Unklar sei bislang noch, ob die Berechnungen der Zerfälle im Rahmen des Standardmodelles zur Extraktion von Vus präzise genug sind. Denn diese zu kalkulieren, ist nur näherungsweise möglich, und dies auch nur unter Einsatz extrem leistungsfähiger Supercomputer. Selbst die schnellsten Rechner wären momentan zudem Jahrzehnte beschäftigt, um eine genügend hohe Rechengenauigkeit zu erzielen.

„Wir benötigen aber eine hohe Genauigkeit, um ausreichend sicher sein zu können, dass die Diskrepanz zwischen den Vus-Werten tatsächlich auf einen Fehler im Standardmodell hindeutet“, erklärt Seng.

Hierzu hat der Nachwuchswissenschaftler aus Malaysia zusammen mit Kollegen eine Methode entwickelt, durch die sich die Rechenzeit entscheidend verkürzen lässt: „Dazu haben wir das Problem – die genaue Extraktion von Vus – in viele einfacherer Teilprobleme zerlegt“, sagt er. „Dadurch war es möglich, den Wert von Vus erheblich schneller und exakter als bislang aus Kaon-Zerfällen zu bestimmen.“

Tatsächlich sprechen nun die ersten Ergebnisse der Berechnungen, dass sich die Hinweise auf eine „neue Physik“ verdichten. Die Ergebnisse bestätigen die Diskrepanz zwischen den Vus-Werten. „Ganz sicher können wir allerdings noch nicht sein. Dazu müssen unsere Berechnungen noch etwas genauer werden. Wenn sich unsere Ergebnisse aber bestätigen, wäre das sicher einer der wichtigsten Befunde der letzten Jahre in der Teilchenphysik.“




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Recherchequelle: Universität Bonn

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