Wann werden wir von Außerirdischen hören? Mit ‚Project Galileo‘ vielleicht eher früher als später

Geschrieben am 07.09.2021
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 4 Minuten – Ein Gastbeitrag von Avi Loeb* Seit 126 Jahren lassen wir unbedacht Radiowellen ins All strömen, ohne über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. Wenn es innerhalb von hundert Lichtjahren eine Nachbarzivilisation mit dafür empfindlichen Radioteleskopen geben sollte, kennen sie uns vielleicht schon. Wie schnell ist mit einer Kontaktaufnahme zu rechnen? Auf die Frage gibt es zwei […]Lesezeit: ca. 4 Minuten
Symbolbild (Illu.) Copyright: Gemeinfrei

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Copyright: Gemeinfrei

– Ein Gastbeitrag von Avi Loeb*

Seit 126 Jahren lassen wir unbedacht Radiowellen ins All strömen, ohne über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. Wenn es innerhalb von hundert Lichtjahren eine Nachbarzivilisation mit dafür empfindlichen Radioteleskopen geben sollte, kennen sie uns vielleicht schon. Wie schnell ist mit einer Kontaktaufnahme zu rechnen?

Auf die Frage gibt es zwei Arten von Antworten, die wir erwarten können:
Bei den schnelleren Signalen handelt es sich um elektromagnetische Signale wie Radiowellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Das würde bedeuten, bis zum 22. Jahrhundert auf eine Zivilisation zu warten, die bis zu 100 Lichtjahre entfernt existiert.

Eine viel langsamere Reaktion würde chemisch angetriebene Raketen wie Voyager 1 und 2 oder New Horizons beinhalten, die unsere Zivilisation auf Flugbahnen geschickt hat, die sie in den interstellaren Raum führen. Wenn die Antwortenden sich für diese entscheiden würden, würde diese Reise von 100 Lichtjahren Millionen Jahren dauern. Dies würde wiederum bedeutet, dass wir immer noch die gleiche Dauer lang warten müssten, wie sie seit dem ersten Auftauchen der Menschen auf der Erde vergangen ist, bevor wir sehen könnten, wie chemisch angetriebene Raumfahrzeuge der Empfänger als Reaktion auf die Erkennung unserer Fernseh- und Radiosendungen auf der Erde ankommen.

Die Reisezeit könnte mit extraterrestrischen Segeln, die – im Sinne des Starshot-Konzepts – vom Licht auf relativistische Geschwindigkeiten gebracht werden, erheblich verkürzt werden, aber es würde immer noch enorm viel Zeit in Anspruch nehmen. Das aber setzt voraus, dass sich eine außerirdische Zivilisation auf dem gleichen technologischen Entwicklungsstand befindet wie wir. Das kopernikanische Prinzip behauptet nun allerdings, dass wir in keiner Weise besonders sind, sagt etwas anderes.

Technologie, mit der wir in der Lage wären, andere Sterne zu erreichen, steht uns erst seit etwa einem Jahrhundert zur Verfügung. Das ist nur ein winziger Bruchteil unserer Erdgeschichte. Die Chancen stehen mehr als 10 Millionen zu 1, dass sich ein anderer Planet genau am gleichen Punkt seiner eigenen Entwicklung befindet.

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Um einem solche Planeten zu begegnen, müssten wir ein Raumvolumen mit mehr als zehn Millionen Sternen abdecken. Angesichts der lokalen Dichte von Sternen bedeutet dies, dass das Signal eine Entfernung von mindestens tausend Lichtjahren zurücklegen muss – und das wiederum erfordert eine Hin- und Rückfahrzeit von mehr als zwei Jahrtausenden.

Mit anderen Worten, wir werden vor dem Jahr 4000 auch mit Lichtgeschwindigkeit keine Antwort erhalten.

Es gibt jedoch noch eine andere Perspektive. Dies war das Ergebnis einer Arbeit, die wir kürzlich zusammen mit meinem Studenten Amir Siraj zur Veröffentlichung eingereicht haben. Wir fragten: Was wäre, wenn schon vor vielen Millionen Jahren eine fortschrittliche technologische Zivilisation entstanden wäre und diese Zivilisation schon lange durch den interstellaren Raum reist, bevor sie sich unserer Existenz bewusst wurde, oder wird?

Unsere eigenen Astronomen sind bestrebt, potenziell bewohnbare Exoplaneten zu untersuchen, wie beispielsweise einen Planeten um den nächsten Stern, Proxima Centauri. Tatsächlich könnten wir uns schon heute leicht dafür entscheiden, Proxima Centauri b mit unserer Raumsonde zu besuchen, noch bevor wir Anzeichen dafür haben, dass eine technologische Zivilisation darauf entstanden ist.

Könnten uns interstellare Fahrzeuge auf analoge Weise gerade jetzt überraschend nahe sein, weil ihre Hersteller schon vor langer Zeit entdeckten, dass die Erde – unabhängig von der Frage nach Intelligenz –  ein bewohnbarer Planet ist, und beschlossen, einen Blick darauf zu werfen?

Die einzige Möglichkeit, dies herauszufinden, besteht darin, den Himmel nach ungewöhnlichen Objekten abzusuchen. Dies ist der Grund für das „Galileo-Projekt“, das ich zusammen mit meinem Kollegen Frank Laukien gegründet habe und das ich leite. Das Projekt wurde am 26. Juli 2021 öffentlich angekündigt, um wissenschaftliche Daten, die von neuen Teleskopen gesammelt wurden, zu sammeln und transparent zu analysieren. Dieses Multimillionen-Dollar-Projekt wird von privaten Spendern finanziert, die sich an mich gewandt haben, nachdem sie mein Buch „Extraterrestrial“ gelesen oder die zahlreichen Interviews gehört hatten, die seiner Veröffentlichung folgten. Anschließend habe ich ein außergewöhnliches Forschungsteam zusammengestellt, das plant, ein Netzwerk neuer Teleskope aufzubauen und den Himmel auf ungewöhnliche Objekte in der Nähe der Erde zu überwachen. Wenn man den Himmel auf neue Weise absucht, wird man wahrscheinlich etwas Neues entdecken. Dies galt für den Astronomen Galileo Galilei (1564–1642), dessen verbesserte Konstruktion eines optischen Teleskops es ihm 1609–1610 ermöglichte, die vier größten Monde des Jupiters zu entdecken. Diese Galileischen Monde waren die ersten Satelliten, die einen anderen Planeten als die Erde umkreisten. Auch Galilei entdeckte 1610 die Ringe des Saturn. Beide Entdeckungen lieferten wichtige Beweise für das von Nicolaus Copernicus entwickelte und 1543 veröffentlichte Modell des Heliozentrismus, das das bisherige dogmatische und falsche geozentrische Modell des Universums verdrängte. Einer populären Legende zufolge murmelte Galilei, nachdem er unter Verfolgung seine Theorie, dass sich die Erde um die Sonne bewegte, zurückgezogen hatte, angeblich den rebellischen Satz „Und doch bewegt sie sich“. Galilei beklagte sich auch, dass einige der Philosophen, die sich seinen Entdeckungen widersetzten, sich geweigert hatten, auch nur durch sein Teleskop zu blicken und so die Berge auf dem Mond oder die vier größten Monde des Jupiter selbst zu sehen. Lasst uns ihren Fehler nicht wiederholen. Uns selbst gegenüber einzugestehen, dass unser Wissen unvollständig ist, würde es uns erlauben, dieses unvollständige Wissen zu vervollständigen.

Unser Projekt ist nach Galileo benannt, da es bahnbrechende Entdeckungen über außerirdische technologische Zivilisationen machen könnte. Ein hochauflösendes Bild eines außerirdischen Artefakts könnte unser Weltbild ebenso beeinflussen wie Galileis bahnbrechende Beobachtungen.

Über den Autor

Prof. Avi Loeb Copyright/Quelle: Galileo Project

Prof. Avi Loeb
Copyright/Quelle: Galileo Project

Avi Loeb ist Gründungsdirektor der „Black Hole Initiative“ der Harvard University, Direktor des „Institute for Theory and Computation“ am „Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics“ und ehemaliger Vorsitzender der Astronomie-Abteilung der Harvard University (2011-2020). Er ist Vorsitzender des Beirats des „Breakthrough Starshot-Projekts“ und ehemaliges Mitglied des „President’s Council of Science and Technology“ sowie ehemaliger Vorsitzender des „Board on Physics and Astronomy of the National Academies“. Er ist Bestsellerautor von „Außerirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten“ und Co-Autor des Lehrbuchs „Life in the Cosmos“.

* Dieser Artikel erschien erstmals im englischsprachigen Original auf „ScientificAmerican.com“. Die hiesige deutschsprachige Übersetzung wurde unter ausdrücklicher Erlaubnis von Avi Loeb durch Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) erstellt.




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Quelle Avi Loeb / ScientificAmerican.com

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