DNA-Analyse der „Frau mit Schwert“ zeigt: In nordisch-mittelalterlichem Grab lag ein Zwitter

Geschrieben am 03.08.2021
von Andreas Müller

Lesezeit: ca. 3 Minuten Turku (Finnland) – Seit der Entdeckung eines Grabes im südfinnischen Suontaka Vesitorninmäki im Jahre 1968 stellt die darin bestattete Person, Archäologen vor ein Rätsel. Während Schmuck-Beigaben auf das Grab einer Frau deuteten, hatte diese Frau unter anderem auch Schwerter eines männlichen Kriegers bei sich, weshalb sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit einer Bewertung des Fundes bislang […]Lesezeit: ca. 3 Minuten
Grafische Rekonstruktion des Grabfundes (A) von Suontaka und der „Frau mit Schwert“ (B). Copyright: Finnish Heritage Agency (Fund)/ Veronika Paschenko (Illu.).

Grafische Rekonstruktion des Grabfundes (A) von Suontaka und der „Frau mit Schwert“ (B).
Copyright: Finnish Heritage Agency (Fund)/ Veronika Paschenko (Illu.).

Turku (Finnland) – Seit der Entdeckung eines Grabes im südfinnischen Suontaka Vesitorninmäki im Jahre 1968 stellt die darin bestattete Person, Archäologen vor ein Rätsel. Während Schmuck-Beigaben auf das Grab einer Frau deuteten, hatte diese Frau unter anderem auch Schwerter eines männlichen Kriegers bei sich, weshalb sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit einer Bewertung des Fundes bislang schwertaten. Eine neue DNA-Analyse der „Frau mit Schwert“ offenbart nun selbst für die Forschenden eine überraschende Situation. Diese stellt bisherige Vorstellungen über Geschlechterrollen eisenzeitlicher und frühmittelalterlicher Gemeinschaften vor Ort in Frage.

Entdeckt wurde das Grab vor bald 50 Jahren bei Grabungsarbeiten an einer Wasserleitung. Anhand des Schwertes konnte das Grab auf ein Alter von rund 1.000 Jahren (1040 bis 1174) datiert werden.

Die Grabbeigaben der „Frau mit Schwert“ im Grab von Suontaka. Copyright: Finnish Heritage Agency

Die Grabbeigaben der „Frau mit Schwert“ im Grab von Suontaka.
Copyright: Finnish Heritage Agency

Während eines der beiden Schwerter als typisches Schwert eines männlichen Kriegers gedeutet wurde, stellten die typisch weiblichen Schmuckbeigaben wie Broschen und die Kleidung der bestatteten Person die Forschenden bislang vor ein Rätsel. Die Vermischung der geschlechtertypischen Beigaben war derart verwirrend, dass einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lange Zeit vermuteten, dass es sich ursprünglich um ein Doppelgrab eines Mannes und einer Frau gehandelt habe, aus dem – aus welchen Gründen auch immer – der männliche Leichnam später entfernt wurde. Eine andere Theorie vermutete, dass es sich um ein reines Frauengrab handelte und der Fund als Beweis dafür gewertet werden könne, dass es auch schon zur Eisenzeit und im frühen Mittelalter in Finnland starke weibliche Anführerinnen und Kriegerinnen gab.

Hintergrund
Bislang gehen die meisten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen davon aus, dass die Geschlechterrollen im Mittelalter klar zwischen Männern und Frauen aufgeteilt und getrennt waren. Während sich Frauen um Heim und Familie kümmerten, waren die Männer für die schwere körperliche Arbeit, Verteidigung, Kampf und Krieg zuständig. Tatsächlich gibt es nur wenige archäologische Funde, die dieses Bild in Frage oder eine Ausnahme davon darstellen. Selbst andere Gräber weiblicher Toter mit Schwertbeigaben enthielten für gewöhnlich keinen Schmuck oder andere typisch femininen Beigaben. Die bekannteste Ausnahme bildet der Fund eines vermeintlichen Wikinger-Anführers im schwedischen Birka, „der“ mit den Waffen eines Mannes und einem Pferd beigesetzt wurde, sich jüngst jedoch anhand von DNA-Analysen als Frau herausstellte. Zudem verweisen Auswertungen der Gesundheitsdaten in den ländlichen Regionen Skandinaviens seit dem späten 8. Jahrhundert auf eine relativ günstige, den Männern vermutlich annähernd gleichgestellte Stellung der Frauen bei den Wikingern (…Grewi berichtete).

Bislang sind hingegen nur drei Gräber von Menschen XXY-Chromosomen, also dem Klinefelter-Syndrom bekannt. In zwei Fällen handelt es sich um Funde aus dem Skandinavien der Wikingerepoche, ein weiterer Fund aus dem jungsteinzeitlichen Mitteleuropa. Allerdings wurden in allen dieser Fälle die Toten nur mit Grabbeigaben und Attributen nur eines Geschlechts beigesetzt.

Das Ergebnis der nun durchgeführten DNA-Analyse stellt nun beide Interpretationen des Grabes von Suontaka in Frage. Zunächst. „Das Grab belegt stattdessen, dass damals auch sogenannte Non-binäre Personen respektierte Mitglieder der Gesellschaft und Gemeinschaften gewesen sein konnten“, berichte die Forschenden um die Archäologin Ulla Moilanen von der Universität von Turku.

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Wie das Team um Moilanen aktuell im European Journal of Archaeology“ (DOI: 10.1017/eaa.2021.30) berichtet, zeigen die Analysen, dass in dem Grab von jeher nur eine Person bestattet lag, die zudem einst typische weibliche Kleidung, und ein unbenutztes Schwert zur linken Hüfte trug. Mit einer Sicherheit von 99,74 Prozent, dass die bestattete Person am Klinefelter Syndrom litt, oder besser gesagt, genetisch den Karyotyp XXY besaß – es sich also umgangssprachlich um einen Zwitter, einen Hermaphroditen handelte.

„Die hier bestattete Person scheint zu Lebzeiten ein gesellschaftlich höchst respektiertes Mitglied der Gemeinde gewesen zu sein, das geht neben ihren Grabbeigaben auch aus dem mit Federn und kostbaren Fellen ausgelegten Grab selbst hervor. „Unsre Analyseergebnisse stellen zudem die Vorstellung von einer klaren Geschlechtertrennung der Gemeinschaften des frühen nordischen Mittelalters in Frage“, so Moilanen weiter.

Hintergrund
Das Klinefelter-Syndrom betrifft in der Regel zunächst männliche Personen. Ab der Pubertät kann die Chromosomenanomalie jedoch zur Ausprägung mehr oder weniger ausgeprägter femininer Merkmale wie runde Hüften, einem weiblichen Busen, unterentwickelten und unfruchtbaren Hoden, geringerer Muskelmasse und oder spärlichem Körper- und Barthaarwuchs führen. Oft sind die Veränderungen aber auch derart gering, dass die Betroffenen selbst die angeborene Anomalie kaum oder gar nicht bemerken.

Laut Moilanen, könnte das Individuum von Suontaka ein Beispiel für eine Person sein, deren soziale Identität außerhalb der traditionellen Geschlechterrollen und -trennung angesiedelt war. „Sollten sich die Klinefelter-Merkmale auch sichtbar abgezeichnet haben, so könnte diese Person auch schon im frühen Mittelalter als weder strikt männlich oder weiblich wahrgenommen worden sein. Die vorhandene Sammlung an Grabbeigaben und Objekten kann als Beleg dafür betrachtet werden, dass diese Person nicht nur geschätzt und respektiert wurden, sondern auch, dass sie Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung einer Person schon zu damaligen Zeit nicht nur durch Biologie diktiert wurde.“




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Recherchequellen: Universität Turku

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