Borate könnten Schlüsselrolle bei der Bildung von RNA gespielt haben

Geschrieben am 22.12.2025
von Andreas Müller

Sendai (Japan) – Wie aus einfacher Chemie die ersten biologischen Moleküle entstanden sind, gehört zu den großen offenen Fragen der Naturwissenschaften. Eine neue Studie liefert nun Hinweise darauf, dass die Umweltbedingungen auf der frühen Erde vor rund 4,3 Milliarden Jahren überraschend günstig für die natürliche Entstehung von RNA gewesen sein könnten.

Symbolbild: Borax-Kristall
Copyright: Aram Dulyan / Aramgutang (via WikimediaCommons), gemeinfrei

Wie das Team um Yuta Hirakawa von der japanischen Tohoku University aktuell im Fachjournal „PNAS“ (DOI: 10.1073/pnas.2516418122) berichtet, stand die sogenannte „RNA-Welt-Hypothese“ im Zentrum ihrer Untersuchunegen. Diese geht davon aus, dass RNA älter ist als DNA und Proteine und ursprünglich sowohl als Informationsträger als auch als chemischer Katalysator fungierte. Demnach wären die ersten Lebensformen auf der Erde auf selbstreplizierende RNA-Moleküle angewiesen gewesen, lange bevor komplexe Zellen entstanden.

Die Studie knüpft an dieses Modell an und untersucht einen konkreten Entstehungsweg für RNA: das sogenannte „Discontinuous Synthesis Model“ (DSM). Dieses Modell beschreibt in sechs aufeinander aufbauenden Schritten, wie aus einfachen Gasen der frühen Erdatmosphäre – darunter Kohlendioxid, Stickstoff, Wasserdampf und Schwefeldioxid – schließlich RNA-Ketten entstehen können. Solche Gase dominierten die Atmosphäre der jungen Erde und wurden durch große Asteroideneinschläge zeitweise chemisch reduziert, wodurch besonders reaktionsfreudige Bedingungen entstanden.

Im DSM beginnt der Prozess mit der Bildung von Zuckermolekülen wie Ribose, einem zentralen Baustein der RNA. In weiteren Schritten werden daraus Nukleotid-Vorstufen erzeugt, die sich schließlich zu RNA-Ketten verbinden. Als katalytische Oberfläche dient dabei vulkanisches Basaltglas, wie es auf der frühen Erde weit verbreitet war. Einzelne Schritte dieses Modells konnten bereits in früheren Laborstudien erfolgreich demonstriert werden. Unklar war bislang jedoch, ob alle sechs Schritte auch gemeinsam und ohne gezielte Eingriffe unter natürlichen Bedingungen ablaufen können.

Genau hier setzt die neue Untersuchung an: Die Forschenden simulierten im Labor unterirdische Wassersysteme, wie sie auf der frühen Erde existiert haben könnten: von Basaltgestein umgebene Aquifere, die wiederholt austrockneten und erneut mit Wasser geflutet wurden. Entscheidend war dabei, dass alle benötigten Ausgangsstoffe von Beginn an gemeinsam in das System eingebracht wurden – ohne schrittweise Steuerung durch die Forschenden.

Besondere Aufmerksamkeit galt dabei Boraten und damit Salzen der Borsäure. In der präbiotischen Chemie galten Borate lange als potenzielles Hindernis, da es sich an bestimmte Moleküle bindet und dadurch Reaktionen blockieren könnte. Die neuen Experimente zeigen jedoch ein überraschend anderes Bild: Borate erwiesen sich nicht als Störfaktor, sondern als förderlicher Bestandteil des Reaktionssystems.

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Statt zentrale Prozesse zu behindern, halfen Borate offenbar dabei, unerwünschte Nebenprodukte aus dem System zu entfernen und stabile pH-Werte aufrechtzuerhalten – beides entscheidende Voraussetzungen für die Bildung von RNA. Zudem unterstützte das Mineral mehrere Schritte des DSM, etwa bei der gezielten Entstehung von Zuckermolekülen und bei der kontrollierten Bindung von Phosphatgruppen.

Das zentrale Ergebnis: Unter chemisch ausgewogenen Bedingungen konnten sich in diesen simulierten Basalt-Aquiferen tatsächlich RNA-Ketten bilden, die eine Länge von etwa 100 bis 200 Nukleotiden erreichten. Damit bewegen sich die entstandenen Moleküle bereits in einem Größenbereich, der für frühe biologische Funktionen relevant sein könnte.

Die Studie legt nahe, dass solche Prozesse auf der frühen Erde ganz ohne gezielte Steuerung ablaufen konnten – vorausgesetzt, die geologischen und chemischen Rahmenbedingungen stimmten. Zugleich deutet sie darauf hin, dass sogenannte „Ozeanwelten“ oder Untergrundsysteme mit periodischem Wasserangebot eine größere Rolle bei der Entstehung des Lebens gespielt haben könnten als bislang angenommen.

Auch für die Astrobiologie sind diese Ergebnisse von Bedeutung: Da ähnliche Bedingungen – etwa Basaltgestein, Wasser und einfache Gase – auch auf dem frühen Mars existiert haben könnten, eröffnen sich neue Perspektiven für die Frage, ob und wo Leben außerhalb der Erde entstanden sein könnte.



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Recherchequelle: PNAS


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