Bergbauerkundungsmission entdeckt 788 neue Arten in der Tiefsee

Geschrieben am 07.12.2025
von Andreas Müller

Göteborg (Schweden) – Während der Erkundung einer Tiefseeregion im Pazifik, die für Tiefseebergbau genutzt werden soll, haben Ökologen in rund 4.000 Metern Tiefe 788 Arten identifiziert. Die Mehrheit davon ist wissenschaftlich noch nicht beschrieben. Eine weitere Erkenntnis: der Artenrückgang im direkten Eingriffsgebiet scheint geringer als erwartet, ist aber dennoch deutlich messbar.

Mikroskopaufnahme einer nur wenige Millimeter großen, in 4.000 Metern Tiefe entdeckten Seespinne.
Quelle: Natural History Museum, London & Göteborgs Universitet

Wie das internationale Forschungsteam um Thomas Dahlgren von der Universität Göteborg aktuell im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“ (DOI: s41559-025-02911-4) berichtet, handelte es sich bei der Erkundung um einen industriellen Testlauf für künftigen Tiefseebergbau. Untersucht wurde die Frage, wie ein realer Abbauvorgang die Ökosysteme der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) beeinflusst.

Hintergrund
Die Nachfrage nach kritischen Metallen wie Kobalt, Nickel und seltenen Erden steigt weltweit. Sie gelten als Schlüsselrohstoffe für Batterien, Elektromobilität und erneuerbare Energien. Da große Vorkommen in Form sogenannter polymetallischer Knollen am Tiefseeboden liegen, wächst das wirtschaftliche und geopolitische Interesse an möglichem Abbau in internationalen Gewässern – und damit auch der Druck auf die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA), verbindliche Regeln zu schaffen.

In ihrer Studie untersuchten die Meeresbiologen fünf Jahre lang ein potenzielles Abbaugebiet zwischen Mexiko und Hawaii und verbrachten insgesamt 160 Tage auf See. Hier führten sie Probennahmen, Bodenanalysen und einen Testabbau mit einer industriellen Bergbaumaschine durch. Die Arbeiten erfolgten nach Richtlinien für ISA-Umweltverträglichkeitsstudien.

Das Ergebnis fällt ambivalent aus: Die direkten Störzonen zeigen erhebliche Verluste, während das Umfeld weniger stark betroffen ist als befürchtet.

Unbekannte Organismen und unidentifizierte Arten

Insgesamt erfasste das Team rund 4.350 Organismen größer als 0,3 Millimeter und identifizierte dabei 788 verschiedene Arten – die allermeisten davon wissenschaftlich noch nicht beschrieben. Gefunden wurden überwiegend Borstenwürmer (Polychaeta), Krebstiere sowie Weichtiere wie Schnecken und Muscheln. In einigen Fällen entdeckten die Forscher völlig neue Gruppen, darunter eine solitaire Koralle, die den Namen Deltocyathus zoemetallicus erhielt und direkt auf metallhaltigen Knollen wächst.

Die Lebensräume in 4.000 Metern Tiefe unterscheiden sich fundamental von flachen Meereszonen: Hier herrscht völlige Dunkelheit, kaum Nahrung erreicht den Boden, und der Sedimentzuwachs beträgt nur ein Tausendstel Millimeter pro Jahr. Während ein Bodengreifer in der Nordsee leicht 20.000 Tiere enthalten kann, liefert ein vergleichbares Tiefsee-Sediment aus der CCZ zwar ähnlich viele Arten, aber nur rund 200 Individuen. Die Ökosysteme sind also hoch divers, aber extrem individuenarm und damit besonders verletzlich.

Die Auswertung des Testabbaus zeigt ein klares Bild: In den direkten Fahrspuren der Bergbaumaschine gingen 37 % der Tierindividuen und 32 % der Artenvielfalt verloren. Die Störung durch den Abbau selbst, inklusive Sedimentaufwirbelung und Zerstörung des Bodens, ist somit deutlich messbar, aber nicht so großflächig, wie manche Modellrechnungen dies befürchtet hatten. Typische Tiefseebewohner wie Borstenwürmer reagierten unterschiedlich: Einige Arten verschwanden lokal, andere traten nach dem Eingriff sogar etwas häufiger auf.

Auch dieser, ebenfalls nur 1–2 mm lange Borstenwurm wurde im untersuchten Tiefseeboden entdeckt.
Quelle: Natural History Museum, London & Göteborgs Universitet

„Das ist die bislang umfangreichste ökologische Bestandsaufnahme in der Clarion-Clipperton-Zone“, erläutert Dahlgren. „Viele der neu entdeckten Arten konnten nur mithilfe genetischer Analysen sicher voneinander unterschieden werden. Ohne diese Daten wäre die Erfassung der Biodiversität kaum möglich gewesen.“

Unklar bleibt jedoch, wie weit verbreitet die einzelnen Arten in der CCZ sind. Die untersuchte Zone macht nur einen kleinen Teil des gesamten Gebietes aus. Rund 30 % der CCZ sind als Schutzgebiete vorgesehen. Allerdings existieren über deren Biodiversität praktisch keine Daten. Für eine realistische Risikobewertung müsste daher auch in diesen Regionen intensiv geforscht werden.

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„Wir wissen nicht, ob die Arten, die wir hier gefunden haben, lokal vorkommen oder im gesamten Pazifik verbreitet sind“, sagt Adrian Glover vom Natural History Museum in London. „Ohne dieses Wissen können wir kaum abschätzen, wie hoch das tatsächliche Aussterberisiko durch künftigen Tiefseebergbau wäre.“

Referenzprojekt für zukünftige Tiefseebergbauvisionen

Für die ISA dürfte die Studie dennoch ein wichtiges Referenzprojekt sein. Die Behörde steht unter internationalem Druck, Regeln für möglichen kommerziellen Abbau festzulegen oder strenger zu regulieren. Die neuen Daten liefern erstmals belastbare Messwerte aus einem echten industriellen Test – inklusive dokumentierter Artenverluste, aber auch Hinweise darauf, dass die Auswirkungen stärker lokal begrenzt sind als befürchtet.

Ob und wann der Tiefseebergbau tatsächlich beginnt, ist weiterhin offen. Klar ist jedoch: Die Entscheidungen der kommenden Jahre werden unmittelbar beeinflussen, wie viel unbekannte Biodiversität in der Tiefsee erhalten bleibt – oder verloren geht.

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Recherchequelle: Göteborgs Universitet

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