East Lansing (USA) – Anhand jahrhundertealter Folklore, Gedichte und religiöser Texte ist es Ökologen gelungen, Fragen nach der ökologischen Vergangenheit Westindiens zu beantworten. Die gewonnenen Erkenntnisse widersprechen bisherigen Vorstellungen davon, dass Savannen degradierte Wälder seien.
Copyright: Ashish Nerlekar
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Wie der Pflanzenforscher Ashish Nerlekar von der Michigan State University und der Archäologe Digvijay Patil von Indian Institute of Science Education and Research aktuell im Fachjournal „People and Nature“ (DOI: 10.1002/pan3.70201) berichten, beschreiben verschiedene alte indischer Quellen uimmer wieder bestimmte Baum- und Straucharten, wie sie die Forschenden als typische Savannenpflanzen identifizieren konnten. Aus dieser Beobachtung entstand sodann Daraus entstand die Idee, historische Texte systematisch nach botanischen Hinweisen zu durchsuchen.
Traditionelle Texte als Informationsquellen
Dabei fanden die Forscher in alten Volksliedern, Gedichten und religiösen Schriften in Sanskrit und Marathi – einige davon aus dem 13. Jahrhundert – tatsächlich zahlreiche Verweise auf Pflanzen, die heute charakteristisch für die Savannen Westindiens sind. Unter anderem identifizierten die Wissenschaftler mit Vachellia leucophloea eine markante dornige Akazienart (siehe Titelabbildung), die schon in frühen spirituellen Texten als Symbol für Vergänglichkeit erwähnt wurde. Insgesamt konnten 44 Wildpflanzenarten zugeordnet werden, von denen zwei Drittel eindeutig typisch für Savannen sind.
Auf diese Weise ergebe sich ein klares Bild davon, dass große Teile der westindischen Landschaft seit mindestens 750 Jahren – und wahrscheinlich weit länger – aus natürlichen Savannen bestehen. Diese Erkenntnisse widersprechen dem verbreiteten Narrativ, wonach tropische Grasländer degradierte ehemalige Wälder seien.
Ein Beispiel: Im Epos „Adi Parva“ (Das Buch des Anfangs) wird die Landschaft am Nira-Fluss als „leer“ und „dornig“ beschrieben – aber zugleich als lohnendes Weideland voll üppiger Gräser. Ein Hinweis, der präzise zum heutigen vegetationsökologischen Bild passt. Auch Schilderungen über sonnenliebende Pflanzen wie Capparis divaricata, die in einer Erzählung aus dem 15. Jahrhundert aus dem Grab einer Heiligen sprießt, belegen die lange Existenz offener Grasländer.
Neue Erkenntnisse mit Konsequenzen für die Zukunft
Die Erkenntnisse sind nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch bedeutsam. Denn weltweit und ebenfalls in Indien gilt noch immer die Vorstellung, Savannen seien das Ergebnis menschlicher Zerstörung ehemals dichter Wälder.
Dieser Logik folgend, werden sie häufig zu „Wastelands“ erklärt und für groß angelegte Aufforstungsprogramme vorgesehen, die der CO₂-Bindung dienen sollen. Tatsächlich aber zeigen neben den literarischen Quellen auch fossile Belege, wie Pollenanalysen und Knochen von grasfressenden Tieren, dass die Savannenlandschaften Indiens bereits zehntausende Jahre alt sind.
Diese Fehleinschätzung könne gravierende Folgen haben, erläutern die Autoren: „Savannen sind kein ‚abgespecktes‘ Ökosystem, sondern extrem artenreich und ökologisch hochkomplex. Allein in Indien beherbergen sie über 200 Pflanzenarten, die nirgendwo sonst vorkommen. Viele davon wurden erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt und sind bis heute bedroht, da Savannen oft landwirtschaftlicher Nutzung weichen müssen oder durch falsch verstandene Aufforstung zerstört werden.“
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Neben ihrer hohen Biodiversität sind Savannen zudem kulturell bedeutsam: Zahlreiche der in der Studie identifizierten Pflanzenarten tauchen in religiösen Texten, lokalen Mythen oder Liedern auf, was ihren Stellenwert in der regionalen Identität unterstreicht. Ökologisch speichert das weitläufige Grasland ebenfalls erheblich CO₂ und ist Grundlage für die Weidewirtschaft, von der weltweit rund 20 % der Menschheit abhängig sind.
Die Forschenden warnen daher vor unbedachten Klimaschutzmaßnahmen: Das Bepflanzen natürlicher Grasländer mit Bäumen kann langfristig Biodiversität vernichten, Wasserhaushalte verändern und Jahrtausende alte Ökosysteme zerstören. Nerlekar betont: „Diese Geschichten geben uns ein seltenes Fenster in die Vergangenheit – und zeigen klar, dass die Landschaft schon damals eine Savanne war, nicht ein Wald.“
Einmal mehr macht auch diese Studie deutlich, wie wertvoll traditionelles Wissen für die moderne Wissenschaft sein kann. Folklore, die über Generationen weitergegeben wurde, liefert Hinweise, die archäologische und ökologische Daten ergänzen und präzisieren. Die Forschenden hoffen nun, dass ihre Erkenntnisse dazu beitragen, die natürlichen Savannen Indiens besser zu schützen – bevor sie durch Missverständnisse über ihre Vergangenheit verloren gehen.
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Recherchequelle: Michigan State University
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