Dunkle Materie erstmals sichtbar gemacht?

Geschrieben am 26.11.2025
von Andreas Müller

Tokyo (Japan) – Seit fast einem Jahrhundert rätselt die Wissenschaft über die Natur der Dunklen Materie. Die unsichtbare Masse soll rund 85 Prozent aller Materie im Universum ausmachen und für den Zusammenhalt von Galaxien verantwortlich sein. Nun könnten Daten des NASA-Gammasatelliten „Fermi“ einen ersten „Blick“ auf die geheimnisvolle Substanz geliefert haben.

Karte der Gammastrahlungsintensität, aus der alle Komponenten außer dem Halo herausgerechnet wurden. Sie zeigt einen Bereich von etwa 100 Grad in Richtung des galaktischen Zentrums. Der horizontale graue Balken im zentralen Bereich markiert die Ebene der Milchstraße, die von der Analyse ausgeschlossen wurde, um starke astrophysikalische Strahlung auszublenden.
Copyright/Quelle: Tomonori Totani, The University of Tokyo, 2025

Die Suche nach dem Unsichtbaren

Alles begann in den 1930er-Jahren, als der Schweizer Astronom Fritz Zwicky bemerkte, dass sich Galaxien viel zu schnell bewegen, um allein durch sichtbare Materie zusammengehalten zu werden. Daraus folgerte Zwicky auf die Existenz einer unsichtbaren Masse – der Dunklen Materie. Doch seitdem konnten Wissenschaftler sie nur indirekt über ihre gravitativen Effekte nachweisen. Direkte Beobachtungen scheiterten bislang daran, dass Dunkle-Materie-Teilchen nicht mit Licht wechselwirken: Sie reflektieren es nicht, sie absorbieren es nicht, sie bleiben eben unsichtbar.

Viele Modelle gehen jedoch davon aus, dass Dunkle Materie aus sogenannten WIMPs besteht, also aus schwach wechselwirkenden massereichen Teilchen. Treffen zwei dieser Teilchen aufeinander, sollten sie einander vernichten und dabei hochenergetische Gammastrahlung freisetzen. Genau diese Strahlung suchen Forscher seit Jahren insbesondere im Zentrum unserer Milchstraße, wo die Dichte Dunkler Materie laut der Vorhersagen besonders hoch sein müsste.

Fermi-Teleskop entdeckt rätselhafte Gamma-Strahlung

Professor Tomonori Totani von der Universität Tokio hat nun die neuesten Daten des NASA-Gammastrahlungsteleskops „Fermi“ ausgewertet und kommt zu einem spektakulären Ergebnis. Im „Journal of Cosmology and Astroparticle Physics“ (DOI: 10.1088/1475-7516/2025/11/080) berichtet er von einer bislang unerklärten Gammastrahlung bei Energien von rund 20 Milliarden Elektronenvolt. Diese Strahlung kommt aus einer großräumigen, haloartigen Struktur rund um das galaktische Zentrum und damit aus genau jenem Bereich, in dem gewaltige Mengen Dunkler Materie vermutet werden.

Der Energieverlauf der gemessenen Strahlung stimmt erstaunlich gut mit Modellen überein, die eine WIMP-Masse von etwa dem 500-Fachen eines Protons vorhersagen. Auch die Häufigkeit der angenommenen Teilchenvernichtungen liegt im Rahmen theoretischer Erwartungen. Totani betont, dass bekannte astrophysikalische Prozesse diese spezielle Art von Strahlung kaum erklären können.

„Wenn diese Interpretation korrekt ist, wäre dies das erste Mal, dass die Menschheit Dunkle Materie tatsächlich sieht“, so Totani und erläutert dazu weiter: „Das würde bedeuten, dass Dunkle Materie aus einer neuen Teilchenart besteht, die im derzeitigen Modell der Teilchenphysik nicht vorkommt. Das wäre ein fundamentaler Durchbruch für Physik und Astronomie.“

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Wie sicher ist der mögliche Durchbruch?

Totanis Analyse ist präzise, steht aber erst am Anfang einer langen wissenschaftlichen Prüfung. Andere Forschungsgruppen müssen die Daten nun unabhängig auswerten und bestätigen, dass keine bekannten Gammaquellen, wie etwa Pulsare, stellare Explosionen oder kosmische Gaswolken, für das Signal verantwortlich sind.

Ein entscheidender nächster Schritt wäre der Nachweis derselben Strahlung in anderen Regionen, in denen Dunkle Materie ebenfalls hoch konzentriert sein sollte. Besonders geeignet wären die Zwerggalaxien rund um die Milchstraße. Diese wären ideale kosmische Testlabore, da diese viel Dunkle Materie und kaum störende astrophysikalische Objekte enthalten.

Sollte auch dort Gamma-Linien im 20-GeV-Bereich registriert werden können, wäre das ein starkes Indiz, dass tatsächlich WIMP-Annihilationen beobachtet wurden.

Ein möglicher Wendepunkt der modernen Kosmologie

Für Totani wäre eine Bestätigung ein wissenschaftlicher Meilenstein: Er vergleicht das Potenzial der Entdeckung mit der erstmaligen Beobachtung von Exoplaneten oder Gravitationswellen und so mit Durchbrüchen, die ganze Forschungsfelder neu definierten.

Bis dahin bleibt jedoch Vorsicht geboten. Die enorme Bedeutung der Hypothese verlangt höchste wissenschaftliche Sorgfalt. Doch selbst im vorsichtigen Ton spürt man Totanis Aufregung: „Diese Strahlung könnte das sein, wonach wir seit 100 Jahren suchen.“

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Recherchequelle: University of Tokyo

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