New York (USA) – In einem Fachartikel präsentiert der unabhängige Ägyptologe Simon Andreas Scheuring ein neues mechanisches Modell, das den für den Bau der Großen Pyramide von Gizeh.
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Wie Scheuring im Nature-Fachjournal „npj Heritage Science“ (DOI: 10.1038/s40494-025-02018-w) darlegt, handelt es sich bei seinem Model um eine Kombination aus geneigten Gleitbahnen, Gegengewichten und seilbasierten Flaschenzugsystemen, mit denen die gewaltigen Steinblöcke gehoben worden sein könnten.
Neue Hypothese zur Hebetechnik der Pyramidenbauer
Seit Jahrzehnten wird darüber gestritten, wie die altägyptischen Baumeister rund 2,3 Millionen Kalksteinblöcke, teils bis zu 15 Tonnen schwer, in die Höhe der 146 Meter hohen sog. Großen Pyramide befördert haben. Klassische Rampentheorien – sei es in gerader, spiralförmiger oder seitlicher Ausführung – erfordern gewaltige Mengen an Material und Arbeitskraft und lassen sich nur schwer mit den archäologischen Befunden vereinbaren.
Scheuring schlägt nun ein alternatives Konzept vor: Anstelle von gewaltigen Rampen habe man kleinere, segmentweise aufgebaute Gleitbahnen verwendet, auf denen die Steinblöcke mithilfe von Gegengewichten bewegt wurden. Diese Gegengewichte, beispielsweise mit Sand oder Schutt gefüllte Container oder Steinmassen, wirkten über Seile auf die zu bewegenden Blöcke ein und ermöglichten so eine kontrollierte, physikalisch effiziente Hebebewegung.
Prinzip eines antiken Flaschenzugs
Kern des Modells ist die Nutzung eines einfachen, aber effektiven physikalischen Prinzips: die Umwandlung von Gewichtskraft in Hebekraft über eine Art Flaschenzugsystem. Dabei rutschen sowohl der Lastblock als auch das Gegengewicht über geneigte Bahnen, wodurch Reibung minimiert und Energie effizient übertragen wird.
Laut Scheurings Berechnungen konnte auf diese Weise die für den Transport benötigte Kraft deutlich reduziert werden. Simulationen zeigen, dass derartige Systeme es erlaubt hätten, auch große Steinblöcke mit relativ wenigen Arbeitern über längere Strecken zu bewegen.
Ein weiterer Vorteil: Die benötigten Strukturen wären deutlich kleiner als herkömmliche Rampen, was den Materialbedarf und die Bauzeit drastisch verringert hätte. Außerdem könnten die Gleitbahnen abschnittsweise auf- und abgebaut werden, was mit dem bekannten Baufortschritt der Pyramide vereinbar wäre.
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Physikalische und technische Modellierung
Um die Stabilität und Machbarkeit des Systems zu bewerten, führte der Forscher umfangreiche physikalische Analysen durch. Dabei wurden Reibungskoeffizienten von Kalkstein, Seilspannungen, Masseverhältnisse und mögliche Steigungswinkel berücksichtigt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Modell technisch realisierbar ist und den Kräften standgehalten hätte, die bei der Bewegung mehrerer Tonnen schwerer Lasten wirken.
Zudem simulierten Scheuring verschiedene Szenarien, in denen die Anordnung mehrerer solcher Systeme den Transport der Steine bis in große Höhen erlauben würde. Damit ließe sich der Bau der oberen Pyramidenschichten erklären, ohne dass eine durchgehende Rampe bis zur Spitze nötig gewesen wäre – ein zentraler Schwachpunkt vieler früherer Theorien.
Archäologische Plausibilität
Allerdings: Auch für Scheurings Modell für Seil- oder Gegengewichtssysteme gibt es bislang keine direkten archäologischen Belege aus der Zeit des Pyramidenbaus. Er selbst betont jedoch, dass die altägyptische Ingenieurskunst grundsätzlich dazu in der Lage gewesen wäre, ein solches System zu entwickeln. „Hinweise auf ähnliche Techniken finden sich in späteren Epochen, etwa bei der Errichtung von Tempelanlagen oder beim Transport großer Obelisken.“
Zugleich liefert Scheurings Modell dennoch aber auch Erklärungsansätze für einige bis heute rätselhafte Merkmale der Großen Pyramide. Unter anderem findet das Modell eine Erklärung für den Umstand, dass die auch als Cheops-Pyramide bezeichnete Große Pyramide statt vier, in Wirklichkeit acht Seiten besitzt. (Klicken Sie auf die Bildmitte, um zu einer vergrößerten Darstellung zu gelangen.
Vor diesem Hintergrund plädiert Scheuring für eine Neubewertung der technischen Möglichkeiten der Alten Ägypter. Der Bau der Pyramiden müsse nicht zwingend auf gigantischen Rampen beruhen, sondern könne auch durch eine Kombination aus mechanischer Raffinesse, Organisation und systematischer Arbeitsweise erfolgt sein.
Ein neuer Impuls in der Pyramidenforschung
Statt auf spekulative oder monumentale Rampenlösungen setzt das neue Modell somit auf ein klar nachvollziehbares, physikalisch fundiertes Prinzip, das mit vergleichsweise wenig Materialeinsatz auskommt. Ob das Modell die nun vermutlich einsetzende Prüfung und Fachdiskussion um den Pyramidenbau überstehen wird, muss sich zeigen. Auf jeden Fall eröffnet es aber neue Perspektiven auf die technische Leistungsfähigkeit einer der faszinierendsten Hochkulturen der Menschheitsgeschichte.
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Recherchequelle: Nature
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