Göteborg (Schweden) – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist nun erstmals eine genaue Datierung der gewaltigen Steinreihen von Carnac in der Bretagne gelungen. Die Arbeit erlauben auch neue Einsichten in den möglichen Zweck der Steinsetzungen.
Copyright: Pinpin (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0
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Über 3.000 aufrechtstehende Steine erstrecken sich über zehn Kilometer von Carnac/La Trinité-sur-Mer bis Erdeven und bilden eine einmalige Konzentration megalithischer Steinsetzungen in einer Küstenlandschaft.
Wie das französisch-schwedische Team um die Archäologin Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg im Rahmen des Forschungsprojekts NEOSEA aktuell im Fachjournal „Antiquity“ (DOI: 10.15184/aqy.2025.10123) berichtet, gehören die Steinreihen in der Region Carnac offenbar zu den frühesten megalithischen Monumenten Europas.
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Datierung offenbart früheste megalithische Region Europas
Datiert auf ein Alter zwischen 6.600 und 6.300 Jahre konnten beispielsweise die Steinsetzungen in der Bucht von Morbihan als früheste megalithische Region Europas bestätigt werden.
Für die Studie haben die Archäologinnen und Archäologen in einem zuvor unbekannten Bereich namens Le Plasker, angrenzend an Carnac, Ausgrabungen durchgeführt. Dabei konnten sie umfangreiches Material analysieren, unter anderem mittels Radiokarbon-Datierung, statistischer Auswertungen zahlreicher C14-Daten sowie Sediment- und Holzkohlenanalysen.
„Dank fast 50 Radiokarbon-Daten und der Anwendung bayesscher statistischer Modellierung konnten wir die Geschichte des Fundortes mit bisher unerreichter chronologischer Präzision rekonstruieren“, berichtet Bettina Schulz Paulsson.
Bayessche Modellierung
Die sauren Böden des Morbihan lassen organisches Material – insbesondere Knochen – kaum erhalten, was die Radiokarbon-Datierung bislang stark eingeschränkt hat. Zudem ist es oft nicht möglich, eine direkte Verbindung zwischen datierter Holzkohle und dem Aufstellen der Steine herzustellen. Andere Methoden, wie OSL-Datierung (optisch stimulierte Lumineszenz), liefern meist zu ungenaue Daten, um klare Aussagen zu treffen.
„Mit einem ausreichend großen Datensatz und bayesscher Modellierung konnten wir diese Herausforderung nun jedoch meistern“, erläutert Schulz Paulsson.
Mehrere Abschnitte der Steinreihen wurden auf die Zeit zwischen 4600 und 4300 v. Chr. datiert. Zwar wurden die Steine selbst später – entweder historisch oder prähistorisch – entfernt, ihre Fundamentgruben haben sich jedoch erhalten. Diese Gruben lagen neben Feuerstellen oder Kochgruben, was nahelegt, dass die Errichtung der Steinreihen in Verbindung mit feuerbezogenen Aktivitäten erfolgte. Ob diese beispielsweise zum Beleuchten, Kochen oder für Rituale genutzt wurden, ist bisher unklar. Eventuell wurden die Feuergruben aber auch für mehrere Zwecke genutzt. So könnten sie sowohl als Kochgruben wie auch zur Beleuchtung der auch vom Meer aus sichtbaren Steine gedient habe.
Copyright/Quelle: Schulz Paulsson et al., Antiquity 2025
Neue Erkenntnisse über Entstehungsgeschichte und Nutzung
Die Ausgrabungen markieren zugleich die Entdeckung eines neuen Abschnitts der großen Steinreihen von Carnac/Erdeven. „Der freigelegte Bereich vervollständigt die nahezu durchgehende Ausrichtung stehender Steine von La Trinité-sur-Mer bis Erdeven und ist integraler Bestandteil des architektonischen Gesamtprojekts von Carnac“. Erbaut auf einem Höhenrücken an der Schnittstelle zwischen der Bucht von Quiberon und dem Atlantik während des mittleren Neolithikums – und vom Meer aus sichtbar – umfasste der Fundplatz Le Plasker ursprünglich ein monumentales frühprämegalithisches Grab (ca. 4720 v. Chr.) sowie mehrere Steinreihen, die mit Kochgruben in Verbindung stehen (ca. 4680–4250 v. Chr.).
Laut den Forschenden steht das prämegalithische Grab für das Aufkommen monumentaler Bestattungsstrukturen in der Region Morbihan um 4720 v. Chr. und verweist auf ein verändertes Raumverständnis in diesen Gesellschaften. „Es wurde durch umliegende Monolithen hervorgehoben, die möglicherweise eine künstliche, aber realistisch wirkende, prämegalithische Granitlandschaft erzeugten.“ Das Grab selbst könnte älter oder zeitgleich mit Trockenmauerkammern und den frühesten Phasen von Grabhügeln wie St-Michel sein – deren Datierung bisher begrenzt und umstritten ist. Solche Gräber gelten als Vorläufer der megalithischen Grabtradition, deren Ursprung heute im nordwestlichen Frankreich verortet wird und die sich von dort über Europa ausbreitete.
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„Die Phase, in der die Steinreihen von Le Plasker errichtet wurden, begann wenige Jahrzehnte nach dem Bau des Grabes. Damit wurde ein rund 300 Jahre dauerndes Projekt eingeleitet, in dessen Verlauf die Zahl und Dichte der aufgerichteten Steine sukzessive zunahm“, so die Autorinnen und Autoren der Studie und erläutern dazu weiter: „Neue Monolithen und Reihen wurden entlang derselben Nordnordwest–Südsüdost-Achse wie die vorherigen aufgestellt, was auf eine bewusste Fortführung des ursprünglichen Konzepts hindeutet und die Beständigkeit gesellschaftlicher Traditionen und Symboliken belegt. Auch die teilweise Ausrichtung von Kochgruben entlang der Steinreihen scheint kein Zufall zu sein, obwohl die genaue Funktion dieser Gruben noch ungeklärt ist.“
Die Ergebnisse zeigen: Die Entstehung einer Kulturlandschaft wie Carnac war kein einmaliges Großereignis, sondern ein Prozess über mehrere Etappen und Generationen hinweg. „Damit eröffnen sich neue Perspektiven für das Verständnis der Bedeutung und Entstehung dieser Steinreihen. Zwar liegt die endgültige Klärung ihrer Funktion außerhalb des Rahmens dieses Artikels, doch trägt die Entdeckung von Le Plasker entscheidend dazu bei, unser Verständnis der gemeinschaftlichen Anstrengungen zu erweitern, mit denen diese frühen megalithischen Gesellschaften über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrhunderten solch monumentale Bauten errichteten und veränderten – in einer lebendigen, dynamischen megalithischen Kulturlandschaft.
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Recherchequelle: Universität Göteborg, Antiquity
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