University Park (USA) – Die Ruinenstätte Tiwanaku (Tiahuanacu) mit dem sogenannten Sonnentor gehört zu den ikonografischen der Hochkulturen Südamerikas. Die Entdeckung einer weiteren, stark an den terrassenförmigen Plattformtempel von Tiwanaku erinnernden archäologischen Stätte liefert neue Einblicke in die Ausdehnung und Struktur des Tiwanaku-Staates während der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends.
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Inhalt
Wie das Internationale Team um José M. Capriles von der Pennsylvania State University aktuell im Fachjournal „Antiquity“ (DOI: 10.15184/aqy.2025.59) berichtet, liegt der nun beschriebenen Fund rund 215 Kilometer südöstlich der von Tiwanaku selbst in den bolivianischen Hochanden, in der NÄhe der heutigen Gemeinden Cayhuasi und Ocotavi
Der auf den Namen Palaspata getaufte Komplex besteht aus einer großen, modularen Struktur mit einem eingelassenen Innenhof, wie sie an den terrassenförmigen Plattformtempel von Tiwanaku erinnert. Die Forschenden interpretieren Palaspata als strategischen Knotenpunkt, der den interregionalen Handel und Verkehr zwischen den Hochanden und den östlichen Tälern von Cochabamba kontrollierte.
Copyright: Capriles et al., Antiquity 2025
Tiwanaku: Ein prä-inkaisches Machtzentrum
Tiwanaku, gelegen am südöstlichen Ufer des Titicaca-Sees in Bolivien, gilt als eine der bedeutendsten prä-inkaischen Zivilisationen der Anden. Aus einem landwirtschaftlichen Dorf entwickelte sich Tiwanaku im Laufe der Jahrhunderte zu einer großen Stadt mit überregionaler politischer Organisation. Das zeremonielle Zentrum bestand aus monumentalen, terrassenförmigen Tempeln aus großen behauenen Steinen, die die Macht und den Einfluss des Staates widerspiegelten. Frühe Forschungen betrachteten Tiwanaku als religiöses Zentrum, während spätere Studien eine komplexe politische und wirtschaftliche Struktur mit intensiver Landwirtschaft und vertikaler Bürokratie betonten. Dennoch gibt es bis heute widersprüchliche Ansichten über die genaue Natur der politischen Organisation, die von zentralisiert bis dezentralisiert reichen.
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Palaspata: Ein monumentales Zeugnis
Die Entdeckung von Palaspata, gelegen auf einem Hügelplateau südlich des Cayhuasi-Flusses, markiert nun einen Meilenstein in der Erforschung von Tiwanaku und der Tiwanaka-Kultur. Der Komplex, der etwa 125 × 145 Meter misst, besteht aus 15 modularen Räumen, die um einen rechteckigen Innenhof angeordnet sind. Dieser Innenhof könnte einen quadratischen, eingelassenen Hof enthalten haben – ein typisches Merkmal der Tiwanaku-Architektur. Die Struktur ist nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet, wobei der Haupteingang nach Westen zum Sonnenäquinoktium zeigt. Die Wände, heute größtenteils eingestürzt, bestanden vermutlich aus einer Kombination von Steinmauerwerk und Lehmziegeln. Trotz landwirtschaftlicher Nutzung und Plünderungen sind Reste von roten Sandsteinplatten und weißen Quarzitblöcken erhalten, die auf eine aufwendige Konstruktion hinweisen.
Copyright: Capriles et al., Antiquity 2025
Archäologische Untersuchungen und Funde
Im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung für den Ausbau einer nahegelegenen Straße wurden systematische Ausgrabungen in Ocotavi 1, etwa 170 Meter südlich des Cayhuasi-Flusses, durchgeführt. Dabei wurden stratifizierte Ablagerungen entdeckt, die auf eine Besiedlung zwischen 630 und 950 n. Chr. hinweisen – eine Zeit, die mit der Expansion von Tiwanaku zusammenfällt. Unter den Funden befinden sich Keramiken im Tiwanaku-Stil, darunter sogenannte Keru-Becher, große Schalen und kannelierte Becken, sowie Werkzeuge aus Basalt und Quarzit. Besonders bemerkenswert sind drei Grabkisten mit sitzenden, gekrümmten Individuen, von denen zwei eine künstlich herbeigeführte Schädeldeformation aufweisen. Radiokarbon-Datierungen bestätigen eine hiesige Hauptbesiedlungsphase zwischen 630 und 950 n. Chr., mit einer späteren Nachnutzung um 1240 n. Chr.
Strategische Bedeutung von Palaspata
Die Forscher deuten Palaspata als „Tor zum Osten“, das die Kontrolle über den Waren- und Personenfluss zwischen den Hochanden und den Tälern von Cochabamba ermöglichte. Die Architektur des Komplexes, deutet auf eine bewusste Investition des Tiwanaku-Staates hin, um seine geopolitische Vorherrschaft zu festigen. Die Anlage könnte sowohl rituelle als auch administrative Funktionen erfüllt haben, etwa zur Verwaltung von Handelsgütern oder zur Durchführung von Zeremonien, die den Austausch zwischen Hoch- und Tiefland zeremoniell. Funde wie Türkissteine und eine Meeresmuschel weisen auf Verbindungen zum Atacama-Gebiet und dem Pazifik hin.
Copyright: Capriles et al., Antiquity 2025
Ein Schlüssel zur Tiwanaku-Expansion
Die Entdeckung von Palaspata liefert entscheidende Hinweise auf die Strategien der Tiwanaku-Expansion. Während der Einfluss in anderen Regionen, wie dem Moquegua-Tal, durch direkte Kolonisierung nachweisbar ist, war die Präsenz in Cochabamba bisher als indirekt interpretiert worden. Palaspata zeigt jedoch, dass Tiwanaku auch in den östlichen Tälern direkte Kontrolle ausübte. Die monumentale Architektur und die strategische Lage an einer Verkehrsroute unterstreichen die Bedeutung des Komplexes als Knotenpunkt im Netzwerk des interregionalen Handels, unterstützt durch Karawanen mit Lamas
Weitere Forschungen
Die Entdeckung von Palaspata eröffnet neue Fragen zur politischen und kulturellen Dynamik von Tiwanaku. Weitere Ausgrabungen und Analysen sind nun notwendig, um die genaue Bauzeit des Tempels, seine Funktion und die Interaktion mit benachbarten Regionen zu klären. Der Fund bestätigt die weitreichende Macht und den organisatorischen Fortschritt des Tiwanaku-Staates und unterstreicht die Bedeutung von Infrastrukturinvestitionen für seine regionale Dominanz. Palaspata könnte somit ein Schlüssel sein, um die komplexen Verflechtungen zwischen den Hochanden und den östlichen Tälern besser zu verstehen.
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Recherchequelle: Antiquity
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