Peking (China) – Neue wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass ein fast vollständig erhaltener menschlicher Schädel aus Harbin im Nordosten Chinas zur Linie der rätselhaften Denisova-Menschen gehört. Der Fund liefert nicht nur wichtige Erkenntnisse über die physische Erscheinung der Denisova-Menschen, sondern auch über deren ausgedehnte geografische Verbreitung.
Copyright/Quelle: Qiaomei et al. 2025
Wie das Team um die Paläogenetikerin Fu Qiaomei von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und den Paläoanthropologen Ji Qiang von der Hebei Geo Universität aktuell in den Fachjournalen „Science“ (DOI: 10.1126/science.adu9677) und „Cell“ (DOI: 10.1016/j.cell.2025.05.040) berichtet, konnte der über 146.000 Jahre alte Schädel mithilfe modernster Analysemethoden genetisch und proteomisch zweifelsfrei den Denisova zugeordnet werden.
Bislang waren Denisova-Menschen lediglich anhand von DNA-Spuren aus einem einzigen Knochenfragment aus der Denisova-Höhle in Sibirien bekannt, das 2010 genetisch analysiert wurde. Ihre tatsächliche Erscheinung und Verbreitung blieb hingegen weitgehend spekulativ – bis jetzt. Der Harbin-Schädel, der 2021 zunächst als „Drachenmenschen“, als neue Art Homo longi beschrieben worden war (…GreWi berichtete), liefert nun ein nahezu vollständiges Bild der Schädelmorphologie eines Denisova-Menschen.
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Mithilfe eines neu entwickelten proteomischen Systems analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun die Proteinstruktur des Harbin-Schädels. Dabei identifizierten sie mehr als 308.000 Spektren, über 20.000 Peptide und insgesamt 95 körpereigene Proteine – ein bislang unerreichter Umfang für Fossilien dieser Epoche. Besonders bedeutend: Drei der identifizierten Aminosäurevarianten (SAPs) stimmten eindeutig mit bekannten Denisova-Merkmalen überein.
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Zusätzlich gelang es dem Team, trotz großer technischer Herausforderungen, mitochondriale DNA aus dem Zahnstein des Schädels zu extrahieren. Nach umfangreichen Optimierungen der Methoden und dem Aufbau mehrerer DNA-Bibliotheken konnten sie dabei Mutationen nachweisen, die typisch für Denisova-Menschen sind.
Diese Ergebnisse verankern den Harbin-Schädel auch genetisch klar innerhalb der Denisova-Linie – und machen ihn zum ersten bekannten vollständigen Schädel eines Denisova-Individuums.
Die neue Datenlage zeigt zudem: Denisova-Menschen waren im mittleren Pleistozän nicht nur in Sibirien aktiv, sondern auch weit nach Osten bis nach Nordostchina verbreitet. Der Harbin-Schädel gehört einer frühen Linie der Denisova-Menschen an, was auf eine größere genetische Vielfalt und regionale Differenzierung innerhalb dieser Homininen-Gruppe hindeutet.
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Mit den aktuellen Studien liefern die Forscher nicht nur den bislang besten Beweis für die Verbindung des Harbin-Schädels zu den Denisova-Menschen, sondern auch eine wichtige Referenz für die Neubewertung anderer Homininen-Funde in Ostasien – etwa aus Dali oder Jinniushan. Diese könnten, wie nun vermutet wird, ebenfalls zur Denisova-Linie gehören.
„Dies ist ein Meilenstein für die Paläoanthropologie in Ostasien“, so Fu. „Wir haben nicht nur ein Gesicht für die Denisova-Menschen, sondern auch ein klareres Bild ihrer Evolution, Ausbreitung und genetischen Vielfalt.“
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Recherchequellen: Chinesischen Akademie der Wissenschaften, Science, Cell
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